Sternenfeuer: Gefährliche Lügen
Wahrheit. Was war die Wahrheit?
»Weißt du, Sealy, Seth ist schon immer labil gewesen. Er ist klug, so viel ist sicher. Aber er verletzt Menschen. Nicht dass er böse wäre. Er ist einfach … wütend.«
Er erhielt keine Antwort.
»Wir dürfen uns nicht gegenseitig fertigmachen. Das ist dir auch klar, nicht wahr?« Er versuchte, seine Stimme ruhig und bedacht zu halten. Er durfte seine Angst nicht zeigen. »Wir brauchen jeden Einzelnen auf diesem Schiff. Wir müssen es am Laufen halten. Wir dürfen nicht einfach Leute in die Brig werfen, nur weil sie einen Fehler gemacht haben.«
»Du hast eine Menge Fehler gemacht.«
»Haben wir das nicht alle?«
»Seth hat keinen einzigen Fehler gemacht.«
Kieran verlor die Geduld. »Du lässt Seth das durchgehen, weil du wütend darüber bist, was mit unseren Familien passiert ist. Und du willst jemandem die Schuld geben.«
Jetzt explodierte der Junge. »Halt die Schnauze!«, schrie er. »Ich muss mir das nicht anhören!«
Kieran hielt seine Zunge im Zaum, denn er verstand, wie brüchig Sealys Fassade war. Unter ihr brodelte die Angst. Möglicherweise hatten viele der anderen die gleichen Zweifel. Wenn er zu ihnen durchdringen könnte, mit ihnen reden könnte …
»Sealy, bist du hiermit wirklich einverstanden? Damit, mich in die Brig zu stecken?«
Der andere antwortete nicht. Kieran beobachtete Sealys unruhige Augen. Er war nur ein Kind, das in eine Situation gestolpert war, mit der nicht einmal die meisten Erwachsenen klarkommen würden. Er war verwirrt und verängstigt und bereit, sich an alles oder jeden zu hängen, der dafür sorgte, dass es ihm ein bisschen besser ging.
»Sealy, du weißt, dass ich der Meinung bin, dass die Shuttles zurückkommen. Wenn du mal genauer darüber nachdenkst – so lange sind sie noch gar nicht weg. Möglicherweise holen sie gerade jetzt in diesem Augenblick die Mädchen zurück.«
»Du weißt gar nichts.«
»Genauso wenig wie du. Also wieso sollten wir vom Schlimmsten ausgehen? Captain Jones ist vielleicht gerade jetzt auf dem Rückweg in einem der Shuttles. Hast du darüber mal nachgedacht?«
»Hör auf«, fauchte Sealy. »Ich weiß, was du gerade versuchst.«
»Was hat Seth mit mir vor?«
»Wirst du sehen.«
Kierans Gedanken rasten. Wollte Seth ihn wirklich töten?
»Wenn ihr mich loswerdet, wird alles nur noch schlimmer, Sealy.« Kieran überlegte kurz, dann fiel ihm etwas ein. »Habt ihr die Codes gefunden? Mason hatte sie mir geschickt, und ich …«
Sealy nickte und winkte ab. »Du wirst da untergebracht, wo du keinen weiteren Schaden anrichten kannst.«
»Aber woher weißt du, dass ich Schaden angerichtet habe? Wie kann das überhaupt jemand wissen?«
»Seth hat alles gesehen.«
»Also steht sein Wort gegen meins? Werdet ihr eure Angelegenheiten ab jetzt so regeln? Seth kann jeden in die Brig werfen, wenn er will?«
Wieder antwortete Sealy nicht.
Kierans Blut pumpte die Angst durch seinen Körper, und es dauerte eine Zeitlang, bis er sich selbst in einen ruhigen, teilnahmslosen Zustand gezwungen hatte, der es ihm erlaubte, halbwegs klar zu denken. Solange er in der Zelle war, war er auf Seths Gnade angewiesen – und wenn ihm niemand half, gab es keinen Weg hinaus. Seine einzige Hoffnung war es also, mit jemandem außerhalb von Seths innerem Zirkel zu sprechen. Mit Arthur Dietrich zum Beispiel. Oder mit Sarek, der an der Kom-Konsole Zeuge des gesamten Shuttle-Flugs gewesen war. Sarek konnte Seths Geschichte widerlegen. »Wenn Seth ein wahrer Anführer ist, sollte er keine Angst vor einer fairen Verhandlung haben.«
»Wenn du versuchst, dich hier rauszureden, wirst du keinen Erfolg haben.«
»Das versuche ich nicht. Ich versuche das Schiff zu retten. Meinst du wirklich, dass Seth der Typ ist, um uns anzuführen? Wirklich?«
»Ja. Das tue ich.«
»Oh, richtig. Ich bin mir sicher, dass er dich nie schikaniert.«
Wieder antwortete Sealy nicht, und auch Kieran schwieg. Sollte doch Sealy selbst ein bisschen überlegen. Kieran hatte wenig Hoffnung, dass er seine Loyalität brechen konnte, aber selbst wenn er ihn nur dazu brachte, an dem, was Seth tat, zu zweifeln, könnte es bereits helfen. Außerdem hatte ihn das ganze Reden und Denken erschöpft. Er musste die Augen schließen, und er musste den Drogennebel loswerden, und deshalb musste er versuchen zu schlafen. Sobald die Wirkung des Medikaments verflogen war, konnte er weiter darüber nachdenken, was zu tun war. Er lauschte seinem Atem und versuchte, die
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