Sternenfeuer: Gefährliche Lügen
Holzkohle skizzierte. Sie war schwach wie der Rest der Erwachsenen und schaffte es nicht länger, als ein paar Minuten am Stück an ihrer Staffelei zu stehen, also ging es nur langsam vorwärts. »Du bist ein Naturtalent!«
»Danke«, sagte Waverly und versuchte, sich nicht zu bewegen. »Also, Waverly«, Amandas Tonfall war bestimmt, »erzähl mal. Möchtest du irgendwann Mutter werden?«
»Ich weiß nicht.« Waverly ließ ihre Augen hinübergleiten zu der Frau, die gerade ihre Leinwand ganz genau in Augenschein nahm. »Wieso fragst du?«
»Oh, ich denke mal, weil ich eifersüchtig bin.«
»Eifersüchtig? Wieso?«
Amanda antwortete lange nicht; sie strich einfach mit der Holzkohle über die Leinwand. Dann sagte sie: »Ich wollte eine der ersten Mütter von New Earth sein. Ich hielt es für meine Bestimmung.«
Waverly wartete ab und schwieg.
»Aber du wirst es sein«, fuhr Amanda fort. »Du wirst die Vorfahrin von Tausenden, wenn nicht Millionen von Kolonisten auf New Earth. Ein ganzer Planet wird dich feiern und sich an dich erinnern. Wie Eva im Garten Eden. Nun, du und der Rest der Mädchen.«
»So habe ich noch nie darüber nachgedacht«, sagte Waverly. Ein Schauer lief ihr über den Rücken.
»Es ist fast schon deine Pflicht, wenn du weißt, was ich meine. Eine Mutter zu sein.«
Waverly betrachtete Amanda, während sie zeichnete, ihre nervösen und schnellen Hände, die ihre Spuren auf der Leinwand hinterließen.
»Und um sicherzugehen, solltest du dir deine Jugend zunutze machen. Hab Kinder, so früh du kannst. Frauen werden im Alter immer unfruchtbarer. Das weißt du.«
»Ich bin nicht bereit, Mutter zu werden«, sagte Waverly. Ein Kloß bildete sich in ihrem Hals, und sie schluckte schwer. Was planten diese Leute?
»Oh, ich meinte nicht, dass du in deinem Alter Kinder großziehen sollst. Um Himmels willen, nein!« Amanda lachte.
Waverly schaffte es, irgendwie zu lächeln, aber sie war zutiefst beunruhigt. Die Frau redete um irgendetwas herum, dessen war sie sich ganz sicher – sie wollte auf irgendetwas hinaus.
»Ich bin so froh, dass du mich heute besuchst«, sagte Amanda mit einem lebhaften Lächeln.
»Das habe ich gern gemacht«, entgegnete Waverly, und das war noch nicht einmal gelogen. In Wahrheit war das hier eine willkommene Abwechslung zur Monotonie des Schlafsaals. Ihre Besuche bei den Familien lagen fünf Tage zurück, und seitdem war kein Wort mehr darüber verloren worden, die Mädchen in Familien unterzubringen. Stattdessen hatte man sie im Schlafsaal der absoluten Langeweile preisgegeben. Tag für Tag verbrachten sie damit, sich selbst zu unterhalten, bekamen nur einfaches Essen und kaum genug, um ihren Hunger zu stillen. Sie waren launenhaft und unruhig, und es hatte viele Rangeleien gegeben. Waverly vermutete, dass Mather sie darauf vorbereitete, getrennt zu werden. Wenn der Schlafsaal ein langweiliger, frustrierender Ort war, wären die Mädchen begierig genug, ihn zu verlassen.
Wohl eintausend Mal hatte Waverly darüber nachgedacht, Samantha und Sarah von der Frau zu erzählen, die ihr eine Nachricht in der Toilette hinterlassen hatte, aber irgendetwas hielt sie davon ab. Es war die Art von Geheimnis, die sich vielleicht nicht bewahren ließ – und ihre einzige Chance, die Überlebenden der
Empyrean
zu retten, war, Mather und ihre Crew zu überraschen. Sie durften nicht den leisesten Schimmer haben, dass sie von den Besatzungsmitgliedern der
Empyrean
wusste, zumindest nicht, bis sie bereit war, sie zu retten und zu fliehen. Und das würde Zeit brauchen. Als daher Amanda gekommen war und Waverly gefragt hatte, ob sie sie in ihr Wohnquartier begleiten würde, um für ein Porträt zu posieren, hatte sie die Chance begierig ergriffen. Sie hoffte, den Integrationshelfern lang genug zu entkommen, um sich in den Frachtraum zu schleichen. Integrationshelfer … sie lachte freudlos. Wachen wäre der richtige Ausdruck für diese Männer und Frauen, die den Mädchen auf Schritt und Tritt folgten. Sie waren wie Mather – aalglatt und stets freundlich und um das Wohlergehen der Mädchen besorgt. Aber Waverly hatte keinen Zweifel daran, was ihre eigentliche Aufgabe war und dass sie ihnen nicht trauen konnte. Deshalb musste sie einen Weg finden, sie abzulenken. Ihre Mutter war vielleicht dort, und sie musste wissen, ob es ihr gutging.
Nein,
rief sie sich selbst zur Ordnung,
denk nicht weiter darüber nach.
Sie wusste nur zu gut, dass sie die Tränen sonst nicht mehr würde
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