Sternenflut
ließ sie an seinem Hals baumeln. Die Insel schien langsam zu schaukeln, wie ein Korken, der auf dem Meer dümpelte. Es würde eine Zeitlang dauern, bis er sich wieder an festen Boden gewöhnt hätte – gerade so lange, erkannte er ironisch, bis er getan hätte, was hier zu tun war, und wieder ins Wasser zurückgekehrt wäre. Er wischte grüne Schleimklumpen von seinen Schultern, und ihn schauderte, als die Nässe langsam verdunstete. Hunger. Ach ja. Den hatte er auch.
Zumindest lenkte er ihn von der Kälte und der Feuchtigkeit ab. Er überlegte, ob er den letzten Nahrungsriegel herausholen sollte, aber dann beschloß er, noch damit zu warten. Im Umkreis von tausend Kilometern war dieser Riegel das einzige, was er essen konnte – abgesehen von dem, was er vielleicht in Alienwracks finden würde.
Noch immer kräuselte sich an der Absturzstelle des ET-Scouts Rauch in die Luft. Sie lag gleich hinter dem Berg. Die dünne Rauchfahne stieg empor, bis sie hoch oben mit den rußigen Schwaden aus dem Krater des Vulkans verschmolz. Hin und wieder hörte Tom den Berg selbst leise grollen. Okay. Auf geht’s.
Er zog die Füße an und stemmte sich hoch. Die Welt wankte unstet um ihn herum. Dennoch stellte er mit angenehmer Überraschung fest, daß er ohne allzu große Schwierigkeiten aufrecht stehen konnte. Vielleicht hat Jill recht, dachte er. Vielleicht habe ich Reserven, die ich noch niemals eingesetzt habe.
Er wandte sich nach rechts, tat einen Schritt und wäre beinahe gestürzt. Er fing sich und stolperte dann den felsigen Hang entlang, dankbar für seine Schwimmhandschuhe. Als er zerklüftete Felsklippen, scharf wie Feuersteinsplitter, zu überklettern hatte, war er für seine Schwimmhandschuhe dankbar. Schritt für Schritt näherte er sich dem Ursprung der Rauchsäule.
Als er den Gipfel eines kleinen Hügels erstiegen hatte, sah er das Wrack vor sich liegen.
Der Aufklärer war in drei Teile zerbrochen. Die Hecksektion lag im Wasser und ragte nur mit ihrem zerfetzten Vorderende aus dem verkohlten Pflanzenteppich auf dem seichten Uferwasser. Tom warf einen Blick auf den Strahlungsmesser am Rande seiner Gesichtsmaske. Er würde diese Dosis ein paar Tage lang aushalten können, wenn es notwendig wäre. Die Vorderhälfte des Wracks war der Länge nach auseinandergefallen und der Inhalt des Cockpits über den steinigen Strand verstreut. Lose Strähnen aus feinem Draht wehten über Metallschotten, die zerrissen und verbogen waren, als wären sie aus weichem Karamel.
Er überlegte, ob er seine Nadelpistole ziehen sollte, doch dann hielt er es für besser, beide Hände frei zu haben, falls er stolpern sollte.
Sieht ja ganz einfach aus, dachte er. Ich gehe einfach runter und inspiziere das verdammte Ding. Schritt für Schritt. Vorsichtig kletterte er den Hang hinunter und kam ohne größere Katastrophen unten an. Viel war nicht mehr da.
Tom stocherte durch die verstreuten kleinen Brocken und erkannte verschiedene Maschinenteile. Aber nichts verriet ihm, was er wissen wollte. Und er fand keine Lebensmittel. Überall lagen große, zerbeulte Metallbleche. Tom näherte sich einem, das sich abgekühlt zu haben schien. Er versuchte es aufzuheben. Es war so schwer, daß es sich nur um wenige Zoll bewegen ließ, bevor er es wieder fallen lassen mußte. Einen Moment lang stand er keuchend da und stützte die Hände auf die Knie, bis er wieder zu Atem kam. Ein paar Schritte weiter lag ein großer Berg Treibholz. Er ging hinüber und zog ein paar der stärkeren Strünke aus dem getrockneten Rankengestrüpp. Sie waren zäh, aber zu biegsam, um als Brechstangen dienen zu können. Tom kratzte sich seinen Stoppelbart und dachte nach. Er schaute auf das Meer hinaus, das bis zum Horizont mit widerlich schleimigen Schlingpflanzen bedeckt war. Schließlich begann er dürre Ranken zusammenzutragen und aufzuschichten.
Als es dunkel war, saß er bei einem Treibholzfeuer und flocht zähe Rankenfasern zu einem Paar großer, flacher Fächer, die ein wenig so aussahen wie Tennisschläger mit einer Schlaufe an einer Seite. Er war nicht sicher, ob sie die gewünschten Dienste leisten würden, aber morgen würde er es herausfinden.
Er sang leise auf trinär vor sich hin, um sich von seinem Hunger abzulenken. Das getrillerte Kinderlied hallte zart von den nahe gelegenen Klippen wider.
Feuer und Hände?
Feuer und Hände!
Nutzt sie, nutzt sie
Zu springen behende!
Traum und Gesang?
Traum und Gesang!
Nutzt sie, nutzt sie
Zu springen recht
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