Sternenkinder
Kuppel waren Planen über den Schmutz gespannt, dort gab es sogar ein paar Liegen. Aber hier draußen musste man einfach im Schmutz des Asteroiden ausharren, immer noch in den Hautanzug eingeschlossen, ohne auch nur eine Decke als Unterlage.
Sanitätsoffiziere eilten durch die Reihen der Neuankömmlinge, spähten in jeden Hautanzug und versuchten, die am schwersten Verwundeten ausfindig zu machen. Einige wurden mit einem schwebenden virtuellen Zeichen markiert, und dann kamen die Krankenträger heraus und brachten die vorrangig zu behandelnden Fälle rasch in die Kuppel. Es ging zu wie in einer Fabrik, dachte Pirius, einer Fabrik für die Verarbeitung von beschädigtem Menschenfleisch.
Der Sanitäter starrte ihn an. »Zum ersten Mal draußen?«
»Ja.«
»Hör zu, Rekrut, du hast mich da draußen bei der Stellung ganz schön blöd angequatscht. Wenn du jemals wieder in meinem Boot bist, sei höflich. Kapiert? Wir haben alle unseren Job zu erledigen.« Dann machte er sich pfeifend auf den Rückweg zu seinem Landeboot.
In der Quin-Basis herrschte eine trostlose Stimmung. Listen der Gefallenen und Verwundeten hingen in Gestalt schlichter virtueller Displays in der Luft. Die Menschen drängten sich um sie, überflogen die Listen mit den Namen und Zugnummern, den lächelnden Gesichtern. Sie kauten auf ihren Fingernägeln herum, schluchzten, umarmten einander auf der Suche nach Trost oder weinten vor Erleichterung, wenn sie feststellten, dass jemand, den sie liebten, überlebt hatte.
Diese offen zur Schau gestellten Gefühle schockierten Pirius. So etwas wie den Stoizismus einer Marinebasis während eines Einsatzes gab es hier nicht. Eigentlich sollte es anders sein; man sollte sein Leben freudig hingeben und den Tod anderer akzeptieren.
Wie Captain Marta versprochen hatte, wurden die zurückgekehrten Kämpfer mit einer Extraration Nahrung belohnt. Pirius öffnete den kleinen Fresskorb, der auf seiner Koje lag und auf ihn wartete. Die Nahrung war klebriges Zeug, sehr süß oder sehr salzig – Naschkram für Kinder. Es waren nur so wenige zurückgekommen, dass für jeden mehr als genug da war; er hätte sich richtig den Wanst voll schlagen können. Aber er aß nur wenig von seiner Portion, bevor er den Rest verschenkte.
Pirius schaffte es, Bleibende Hoffnung bei seinem Artilleriezug eine Nachricht zu schicken und ihm mitzuteilen, dass Cohl verletzt worden war, sich jedoch bereits wieder erholte. Er dachte daran, dass er nach den Freunden der Tilis und des restlichen Zuges suchen sollte. Aber er wusste nicht, wer diese Freunde waren – und außerdem, was sollte er ihnen sagen? Am Ende schreckte er davor zurück, aber er schämte sich, als hätte er sich vor einer Verantwortung gedrückt.
In dieser ersten Nacht blieben viele Kojen leer. Die Kaserne war wie ausgehöhlt. Statt der normalen Geräusche von Spiel, Liebe und belanglosen Streitereien herrschte nun Stille. Während er schlaflos dalag, sah er einmal Captain Marta durch die Kaserne gehen; ihr metallisierter Körper glänzte, ihre Bewegungen waren lautlos und bedächtig. Sie hielt bei einigen Kojen inne, aber Pirius konnte nicht hören, was sie sagte.
In den folgenden Tagen erfuhr Pirius, dass das Heer weitere »Prozeduren« für den Umgang mit den Nachwirkungen solcher Schlachten kannte.
Am Tag nach seiner Rückkehr wurde die Kaserne einer schwungvollen, massiven Reorganisation unterzogen. Pirius, Cohl und Tili sollten zusammenbleiben, wurden aber einem neuen Zug zugeteilt, Nummer 85 unter der neuen Hierarchie. Sie wurden in eine andere Ecke der Kaserne verlegt. Nach Cohls und Tilis Rückkehr wurden sie zusammen mit ihren sieben neuen Zugkameraden in einen Bettenblock gezwängt.
Die meisten der sieben neuen Zugmitglieder waren Kadetten, die frisch aus der Ausbildung kamen und noch kein Blut vergossen hatten. Wiedervereinigte Kadergeschwister begrüßten einander geräuschvoll. Die Überlebenden des Fabrik-Steins bewegten sich in dieser neuen Menge, als wären sie schlagartig gealtert, dachte Pirius. Die Energie der jungen Leute war ansteckend, und die Stimmung hob sich rasch wieder, bis fast derselbe aufdringliche Lärm herrschte wie zuvor. Bald war es, als hätte der Einsatz auf dem Asteroiden nie stattgefunden, als wäre alles nur ein grauenhafter Albtraum gewesen.
Aber in den stillsten Stunden der Nacht, wenn die Ratten sangen, konnte man immer noch jemanden weinen hören.
Tili Drei hatte sich verändert. Sie hatte keine Ähnlichkeit mehr mit dem
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