Sternenkinder
während der feurigen Momente nach dem Urknall geschehen und konnte auch heute passieren, wenn ein Riesenstern implodierte. Innerhalb seines »Ereignishorizonts«, der Fläche, jenseits derer es keine Rückkehr mehr gab, ging die Implosion immer weiter.
Daraus ergab sich die elementare Geografie eines schwarzen Lochs, die jeder Pilot in der Marine kannte. Wenn man durch den Ereignishorizont fiel, gab es kein Entrinnen mehr. Man wurde unerbittlich in die Singularität im Zentrum hineingezogen, wo die Druckkräfte exponential wuchsen, bis die Raumzeit selbst aufgerissen wurde. Müßig betrachtete Pirius bunte Darstellungen von explodierenden Sternen, Urknall-Druckwellen und unglücklichen, verschmierten Zeichentrickpiloten.
Doch nun erklärte Draq, wenn man über schwarze Löcher nachdenke, sei es am produktivsten, sich vorzustellen, dass der Ereignishorizont ein separates Universum umschließe. Immerhin könne nichts innerhalb des Horizonts jemals mit etwas außerhalb kommunizieren. Es verhalte sich so, als wäre eine Furche in unsere Raumzeit gerissen und das Loch mit einem anderen Universum geflickt worden. Tatsächlich, sagte er mit einem begeisterten, aber unwillkommenen Abstecher zu Gleichungen, sei das die mathematische Herangehensweise an ein schwarzes Loch.
Im Innern eines konventionellen schwarzen Lochs war dieses neue Baby-Universum dazu verurteilt, auf ewig in seine Singularität zu implodieren. Aber das war nicht zwangsläufig so. Was, wenn dieses noch in den Anfängen steckende Universum sich ausdehnte? Immerhin schien sich das äußere Universum so zu verhalten, und es war möglich, dass die Gravitation als Abstoßungskraft fungierte: Ein Feld »dunkler Energie« mit eben dieser Eigenschaft bewirkte ja das Anschwellen des Universums. Draq behauptete, dass – jedenfalls theoretisch, unter bestimmten Bedingungen – der Schock, den der ungeheuer gewaltsame Zusammenbruch eines massiven Objekts erzeugte, eine Raumzeitregion in eine neue Konfiguration versetzen könne. Und wenn das geschah, ja, dann konnte man gewiss ein neues Baby-Universum erschaffen, das dazu verurteilt war, nicht zusammenzubrechen, sondern sich auszudehnen.
Aber diese Ausdehnung war begrenzt. Die Masse des kollabierenden Objekts zog weiterhin Materie von der Außenwelt in sich hinein, sodass es weiterhin einen Ereignishorizont gab, jene Distanz, aus der eine Flucht mit Lichtgeschwindigkeit noch möglich war. Doch nun war der Horizont wie eine stationäre Schockwelle, der Ort, wo die Materiezufuhr vom Mutteruniversum draußen auf die Expansion des Neugeborenen im Innern traf.
Diese Kollision von Universen erzeugte einen »ultrarelativistischen Materieausfluss«, wie Draq es nannte, ähnlich dem Meniskus eines Teichs, der das Wasser von der Luft trennte. Dieses exotische Material war zu einer Hülle von der Dicke eines Quarks verdichtet, aber ein Löffel voll davon würde mehrere hundert Tonnen wiegen. Eine unglückliche, hineinfallende Astronautin würde nicht glatt ins tödliche Innere gleiten wie bei einem herkömmlichen schwarzen Loch. Stattdessen würde jedes Partikel ihrer Masse seine Gravitationsenergie an die Schockfront abgeben müssen.
Dieser »Gravastern« war kein schwarzes Loch; dank der bei seiner unaufhörlichen Zerstörung freigesetzten Energie würde er strahlend hell leuchten. Aber dennoch, so skizzierte Draq ein Paradoxon, das Pirius auch nicht andeutungsweise verstand, würde die Temperatur der Hülle nur ungefähr ein Milliardstel Grad über dem absoluten Nullpunkt liegen.
Pirius begriff nicht, was daran so wichtig war. Aber er genoss das virtuelle Feuerwerk.
Nilis war unterdessen immer unruhiger geworden. Schließlich erhob er sich schwerfällig. »Ja, ja, Kommissar Draq, das ist alles gut und schön. Aber es ist pure Theorie – und eine uralte noch dazu. In der Natur hat man noch nie einen solchen ›Gravastern‹ beobachtet.«
Das stimmte, wie Draq zugab. Es war unwahrscheinlich, dass die erforderlichen Bedingungen, durch die sich ein simpler Zusammenbruch zu einem schwarzen Loch vermeiden ließ, zufällig eintraten: Ein implodierendes Objekt würde eine Menge Entropie abgeben müssen, um das Gravastern-Stadium zu ermöglichen, und niemand wusste, wie das in der Natur vonstatten gehen sollte.
»Woher wollen Sie dann wissen, ob an den Knochen Ihrer Theorie auch Fleisch ist – hm?«, fragte Nilis gebieterisch. »Und außerdem beschreiben Sie kugelsymmetrische Lösungen der Gleichungen. Im Innern eines
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