Sternenkinder
von entscheidender Bedeutung sein, könnte alles zunichte machen. Das ist die große Angst – und Nilis’ Forderung ist nur eine von hundert, von tausend, mit denen ich mich momentan befassen muss. Ist dir klar, was ihr von mir verlangt? Welches Risiko ich eingehe, wenn wir auf Nilis’ verrückte Spritztour setzen?«
»Sie befürchten, wenn wir Ressourcen abziehen, könnte die Front zusammenbrechen.«
»Ja. Und wenn es den Xeelee tatsächlich gelingen sollte, dort auszubrechen, wären wir verloren; sie würden uns unter Garantie nie wieder in eine Vormachtstellung gelangen lassen. Nilis ist ja nicht der Einzige, weißt du. Gerade in der Kommission gibt es viele Ecken und Winkel, jede Menge kleiner, nicht ausgewiesener Finanzierungen – jede Menge Raum für Leute wie Nilis, ihren Träumen nachzuhängen.«
»Nilis ist mehr als ein Träumer.«
»Ja, vielleicht. Aber wie gesagt, er ist nicht der Einzige. Man muss kein Genie sein, um zu sehen, dass unsere gloriose Kriegsanstrengung zum Stillstand gekommen ist, dass sie eine Übung in monströser Verschwendung ist. Zu jedem gegebenen Zeitpunkt laufen bestimmt Dutzende von Nilissen mit schlauen Ideen für die Abkürzung oder Beendigung des Krieges herum.« Er rieb sich die fettverschmierte Wange.
»Und vielleicht stößt man einmal in jeder Generation auf einen echten Nilis, einen so gut durchdachten, so überzeugenden Plan, dass man glaubt, er könnte – nur vielleicht! – funktionieren.«
»Einmal in jeder Generation?«
»Es steht in den Akten. Nilis kennt zweifellos viele von ihnen.«
»Aber seit Kriegsbeginn hat es sehr viele Generationen gegeben.«
Gramm lachte. »Ganz recht. Und sehr viele schlaue Ideen. Einige von ihnen hatten wahrscheinlich eine flüchtige Ähnlichkeit mit Nilis’ Plan.«
»Und was ist aus ihnen geworden?«
»Sie wurden abgeblockt. Von Leuten wie mir.« Er verlagerte sein Gewicht und sah Pirius an. »Betrachte es mal aus meiner Perspektive. Also, ich weiß, dass wir ein Risiko eingehen müssen, um den Krieg zu gewinnen. Aber die Frage ist, welches Risiko? Ist Nilis’ Idee diejenige, welche…«
»Oder sollten Sie warten, bis eine schlauere Idee daherkommt?«
Gramms Augen wurden schmal. »Du hast wirklich deine Qualitäten, Pirius. Ich kann verstehen, weshalb Nilis dir aus der Patsche geholfen hat. Weißt du, das Einfachste für mich wäre, euer Projekt weiterzuleiten – nicht einmal, es abzulehnen; einfach auf Zeit zu spielen. Ich werde nicht ewig in diesem Amt sein. Soll meine Nachfolgerin die schwierigen Entscheidungen treffen, wenn sie sich traut. Dieser Krieg dauert schon tausende Jahre. Er ist nicht meine Schlacht. Ich bin nur ein Aufseher. Und wie könnte ich es ertragen, wenn der entscheidende Fehler während meiner Wachschicht passieren würde?… Aber ich fürchte, eine Zurückstellung kommt für mich nicht infrage.«
»Sir? Weshalb nicht?«
»Weil wir im Begriff sind zu verlieren.«
Die gewaltige, galaxisweite Operation, die von der rigiden Ideologie und der erbarmungslosen Politik der Koalition zusammengehalten wurde, band die Xeelee. Aber die Menschheit war wirklich bis zum Äußersten belastet. Und die Entropie forderte nach und nach ihren Zoll.
»Diesen theoretischen Kommissarsquatsch über einen ewigen Krieg und das Schmieden einer vollkommenen Menschheit in seinem kalten Feuer kannst du vergessen. Die Maschine ist nicht so perfekt, glaub mir. Wir werden nicht morgen untergehen, und auch nicht übermorgen. Ich weiß nicht, wann es passieren wird – wahrscheinlich nicht einmal zu meiner Zeit. Aber passieren wird es.« Er starrte den Ensign wieder an, und Pirius sah die Verzweiflung in seinen tief in den Höhlen liegenden Augen. »Verstehst du jetzt, weshalb ich Nilis zuhöre?«
»Ja, Sir.«
»Ich weiß, dass Nilis diese Geschichte kennt, und er hat daraus gelernt. Er hat sich im bürokratischen Spiel überraschend geschickt geschlagen, weißt du. Aber jetzt sind wir über die Spiele hinaus, jetzt kommt der kritische Moment. Kannst du mir versprechen, dass der irrwitzige Plan deines Mentors funktionieren wird?«
»Nein, Sir.«
»Nein. Wie einfach wäre es, wenn du es könntest!«
Pirius glaubte zu verstehen. Dieser Mann, der ihm von seiner ganzen Wesensart her so fremd war, versuchte gewissenhaft, eine unmögliche Entscheidung zu treffen, eine Entscheidung, mit der er die Menschheit retten oder zum Untergang verurteilen konnte, eine von hundert derartigen Entscheidungen, die er Tag für Tag vor einem
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