Sternenkinder
jungen Sonne, genau im Zentrum der Scheibe. Irgendwo dort drin war ein Ereignishorizont, der zehn Sols nebeneinander verschlungen hätte; im Sol-System hätte er sich bis zur Umlaufbahn des innersten Planeten, Merkur, erstreckt. Das Leuchten war der Todesschrei der verdichteten, erhitzten Materie beim Sturz in das Loch, jenen Fehler im Universum, in den die Galaxis kontinuierlich abfloss.
Und es war Pirius’ Ziel.
Cabel studierte vergrößerte Bilder der Akkretionsscheibe. Er entdeckte einen hell leuchtenden Bogen, der über die brodelnde Oberfläche der Scheibe hinwegführte. »Was ist das?«
»Ein Stern, glaube ich«, sagte Bilson. »Ein Stern, der zu nah herangekommen ist. Herrje, da finden ja immer noch Fusionsprozesse statt.«
»Ein Stern, der in Stücke gerissen wird«, sagte Cabel langsam. »Lethe, wo sind wir hier bloß gelandet.«
»Nun verliert nicht gleich die Nerven«, rief Blau. »Werft mal einen Blick auf eure taktischen Displays.«
Auf Pirius Rots virtuellen Karten der Region leuchteten bösartige zinnoberrote Funken auf, die Xeelee-Konzentrationen anzeigten. Die meisten befanden sich am Rand der Akkretionsscheibe.
»Die gute Nachricht ist«, meldete Blau, »dass ich weder Nachtjäger noch andere Kampfschiffe in diesem Gebiet sehe – jedenfalls nicht innerhalb der Umlaufbahn von SO-2. Das Täuschungsmanöver mit dem Grav-Schild hat also funktioniert. Die Xeelee haben wirklich nicht geahnt, dass wir so weit kommen würden, und sie reagieren nur langsam. Wir haben noch etwas Zeit. Aber diese roten Punkte in der Akkretionsscheibe sind Xeelee-Stellungen. Zuckerwürfel, die wahrscheinlich als Flak-Batterien eingesetzt werden. Sie sind ortsgebunden – verfolgen werden sie uns also nicht –, aber sie haben reichlich Feuerkraft.«
Pirius studierte sein Display. Um an das schwarze Loch heranzukommen, würden seine Grünschiffe folglich durch einen Hagel von Xeelee-Flakgeschossen fliegen und die gefährliche Zone der Akkretionsscheibe durchdringen müssen.
»Bringen wir’s hinter uns, bevor sie aufwachen«, sagte er. »Ich gehe als Erster rein. Ingenieur – Navigator – wie sieht’s aus?«
»Bereit, Pilot«, sagte Bilson mit vor Anspannung gepresster Stimme.
Cabel rief: »Dazu sind wir ja schließlich hier.«
»Macht die Waffen bereit.«
Pirius arbeitete rasch seine Checkliste ab und versuchte, alle Zweifel und Ängste zu verdrängen. Er wusste, dass sie nur wenige Chancen hatten, ihren Auftrag zu erfüllen. Jedes Schiff hatte lediglich zwei Schwarzlochbomben an Bord: Jedes würde bloß einen Schlag führen können. Und bei dieser ersten Attacke, während die Xeelee noch vollkommen unvorbereitet waren, standen ihre Chancen am besten. Wenn er bei diesem ersten Angriff Erfolg hatte, konnten sie heimfliegen. Er hoffte inständig, dass er es schaffen würde.
Die anderen Crews waren still, während sie arbeiteten. Mit Torec wollte er nicht sprechen: Er hatte das Gefühl, dass es weder ihm noch ihr helfen würde. Aber er konnte ihre Anwesenheit nicht vergessen. Selbst wenn er ums Leben kam: Falls er seinen Job erledigte, musste heute sonst niemand sterben – würde sie nicht sterben müssen.
Ihm wurde bewusst, dass er seit ihrer Ankunft in dieser Sternenkathedrale kein Sterbenswörtchen mehr von Diese Bürde Wird Vergehen gehört hatte. Es war ein nagender, beunruhigender Gedanke, aber er hatte keine Zeit, sich damit abzugeben.
Grüne Felder leuchteten auf. Das Schiff war bereit für den Angriffsflug. »Dann wollen wir mal«, sagte Pirius. Er legte die Hände um seine Steuerelemente und schloss sie zu Fäusten.
Bleibende Hoffnung wurde zusammen mit Cohl und den übrigen letzten Evakuierten vom Orion-Stein zur Bogen-Basis ausgeflogen. Die Reise dauerte zwei Stunden, sodass Hoffnung sechs Stunden nach dem Start der Grünschiffe dort eintraf – zum selben Zeitpunkt, an dem Pirius Chandra erreichen sollte.
Hoffnungs Gefühle waren vielschichtig. Die Wochen, die er mit den Vorbereitungen auf den Augenblick des Starts verbracht hatte, waren vorbei. Er verspürte eine gewaltige, fast schon enttäuschende Erleichterung, dass er es geschafft hatte, seine Schiffe mit nur einem größeren Ausfall, einem Verlust auf die Reise zu schicken; das war mehr, als er im tiefsten Innern erwartet hatte. Und es freute ihn, dass es ihm gelungen war, ein paar Beziehungen spielen zu lassen, um Cohl von Orion wegzuholen.
Und doch verknäuelte sich die Frustration in ihm. Er war schließlich Flieger; sein Kamerad
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