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Sternenlaeufer

Sternenlaeufer

Titel: Sternenlaeufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Rawn
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Mireva blieb im Vorzimmer, als ich wieder zu Bett ging. Ich war fast eingeschlafen, aber … aber dann weckte mich etwas, und ich öffnete die Augen. Und da war er. Er stand gleich dort …«
    Meiglans Augen waren vor Angst weit aufgerissen, als sie auf einen Punkt am Fußende des Bettes starrte. Sionell drückte ihr beruhigend die Hand. »Wie sah er aus?«
    »Er … er war groß und schlank und hatte blondes Haar. Ich glaube, seine Augen waren blau.«
    Die meisten Wüstenbewohner waren so dunkel wie die Fironeser, hatten jedoch nicht die mandelförmigen Augen, die für dieses Prinzentum so charakteristisch waren. Rotschöpfe wie Sionell und ihre Mutter tauchten gelegentlich auf, sogar in Familien, die sich nicht mit Fremden gemischt hatten, aber wirklich blonde Haare waren äußerst selten. In ganz Tiglath gab es vielleicht fünf hellhaarige Männer, abgesehen von Tallain selbst – und Sionell wusste, dass keiner von ihnen in Meiglans Schlafzimmer gewesen sein konnte. Es war ein Traum gewesen.
    »Er hat zwei Ringe getragen«, flüsterte Meiglan. »Einen an jeder Hand. Einen großen Ring mit zwei Steinen, einen goldenen und einen dunklen, ich glaube, einen Amethyst. Die andere Hand – da steckte einer an seinem Mittelfinger und schimmerte wie Wolken um die Monde …«
    An der Tür gab Rialt plötzlich einen leisen Laut von sich. Sionell ließ ihrer Stimme jedoch nichts anmerken, als sie sagte: »Hier in Tiglath gibt es niemanden, auf den diese Beschreibung passt, meine Liebe.«
    Meiglan zitterte wieder, als wollten ihre zarten Knochen zersplittern. »Aber ich habe ihn gesehen! Ich schwöre es!«
    »Ich bin sicher, dass es Euch ganz real vorgekommen ist. Träume können so wirklich sein, wenn wir uns zwischen Schlafen und Wachen befinden. Ich weiß, dass Ihr sicher seid, diesen Mann gesehen zu haben, aber er war nicht hier.«
    Er konnte nicht in ihrem Zimmer gewesen sein. Er war in Stronghold.
    Das Mädchen sank in seine Kissen zurück. »Glaubt Ihr wirklich, dass es nur ein Traum gewesen ist?«
    »Davon bin ich fest überzeugt.« Sionell gab sich große Mühe und lächelte. »Als ich mit Talya schwanger war, habe ich die merkwürdigsten Dinge geträumt. Und dann das ganze Schloss aufgeweckt und nach den verrücktesten Speisen verlangt.«
    Ein kleines Lächeln zuckte um Meiglans weichen Mund. »Wirklich, Herrin?«
    »Ja, ganz bestimmt – und jetzt hör auf mit diesem ›Herrin‹-Blödsinn. Ich bin Sionell, und ich bin deine Freundin, Meiglan. Leg dich jetzt wieder hin, und mach die Augen zu.«
    »Es tut mir leid, dass ich alle aufgeweckt habe. Ich komme mir so dumm vor. Das alles wegen einem albernen Traum.«
    »Denk jetzt keine Sekunde mehr darüber nach!«
    »Du bist so lieb zu mir, meine Sionell«, flüsterte Meiglan schüchtern. »Und so schön! Darf ich dich wirklich meine Freundin nennen?«
    Niemand konnte so unschuldig sein – schon gar nicht jemand, der Miyon von Cunaxa zum Vater hatte. Sionell schämte sich ihrer selbst und fragte sich im selben Augenblick, ob dieses Gefühl bei ihr nicht vielleicht gerade bezweckt wäre.
    »Natürlich, meine Liebe.« Sie tätschelte Meiglans Hand und erhob sich. »Schlaf jetzt.«
    Rialt stand im Vorzimmer und erklärte der Magd, dass Meiglan durch einen bösen Traum aufgeschreckt worden sei. Sionell wartete, bis er noch darauf hingewiesen hatte, dass der Wein vom Geschmack und der Temperatur her geeignet sei, eine erschreckte Dame wieder einschlafen zu lassen. Dann nahm sie ihn fest am Arm und führte ihn aus dem Zimmer.
    Ehe sie etwas sagen konnte, fing er schon an. »Herrin, die Beschreibung, die sie gab …«
    »Ja«, meinte sie nur.
    »Bis in die kleinste Einzelheit mit den Ringen.«
    Genau das hatte sie selbst auch gedacht, aber als sie es jetzt von jemand anders laut ausgesprochen hörte, kam ihr merkwürdigerweise sofort eine Lüge auf die Lippen. »Ich denke, du misst dem zu viel Bedeutung bei …«
    »Sicherlich.« Sein Gesicht war ohne jeden Ausdruck.
    »Gute Nacht, Rialt. Danke für deine Hilfe.«
    »Gute Nacht, Herrin.«
    Im Schlafgemach brannten Kerzen, und Tallain war verschwunden. Sionell kroch ins Bett zurück und starrte auf den Wandteppich, der Pols Hochzeitsgeschenk gewesen war. Ein Schwarm leuchtender Drachen flog an einem tiefblauen Himmel über Tiglath, jede Einzelheit war exquisit und akkurat gestickt worden – bis zu dem Stück Mauer, das die Merida im Jahr von Pols Geburt zerstört hatten. Tallains Vater hatte angeordnet, den Schutt als Symbol

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