Sternenlaeufer
zu erhalten. »Die Mauern, die Rohan für uns errichtet, werden stärker sein als jeder Stein.«
In dieser Nacht sah Sionell in der zerstörten Mauer ein anderes Symbol. Seit nunmehr zwei Jahren hatte sie für ihre eigene Verteidigung gesorgt, hatte eine Mauer aus Ehe und Mutterschaft und den Anforderungen des Herrschens über diesen Besitz, dessen sie sich angenommen hatte, errichtet. Sie liebte ihren Gemahl ehrlich und aus tiefstem Herzen und betete ihre Tochter an, und ihr Leben als Herrin von Tiglath bedeutete eine Herausforderung und Befriedigung. Es gab nur einen kleinen Punkt, wo sie, obwohl sie eine erwachsene Frau war, keinen Schutzwall gegen einen Traum aus ihrer Mädchenzeit errichten konnte.
Hatte Meiglan heute Nacht wirklich geträumt? Oder hatte sie bloß gesagt, dass sie träumte?
Wie auch immer, Sionell verstand jetzt, warum das Mädchen da war. Es war so lächerlich offensichtlich, dass sie sich am liebsten getreten hätte, dass sie es nicht schon früher erkannt hatte.
Sie ist alles, was er nie zuvor in einer Frau gesehen hat.
Pol war sein Leben lang von starken, fähigen, zuversichtlichen Frauen umgeben gewesen. Keine von ihnen konnte auch nur entfernt zart und schüchtern genannt werden. Trotz ihres Aussehens war Tobin ungefähr so zart wie ein Pflugelch; Sioned besaß die Macht und Kraft eines Drachenweibchens; hinter Audrites sanfter Art verbarg sich ein harter, brillanter Verstand; Hollis, die ruhigste von allen, hatte die Zartheit und Unterwürfigkeit eines Sandsturms.
Miyons Art, dieses zarte Kind zu behandeln, weckte in allen, die davon Zeuge wurden, den Beschützerinstinkt. Aber niemand hatte jemals Sioned, Tobin, Feylin oder eine der anderen Frauen, die Pol kannte, beleidigt, indem man dachte oder erklärte, dass sie Schutz brauchten. Ihre Ehegatten wären vor Lachen sicher gestorben, wenn man dies auch nur angedeutet hätte.
Aber Meiglan …
Und sie war so verdammt schön.
Ihr Anderssein allein schon würde ihn anziehen. Das Verhalten ihres Vaters würde ebenfalls Wirkung zeigen. Und ihre Schönheit würde den Rest erledigen.
Pol war aber doch sicher kein so großer Narr. Er würde das Spiel durchschauen. Er musste es. Der Gedanke, er könnte in Miyons Falle tappen, war lächerlich.
Der Gedanke, er könnte Meiglan heiraten, war unerträglich.
Als ihr Vater nach dem letzten Rialla zu Sionell gekommen war, um ihr von Tallains Interesse zu berichten, hatte sie einen inneren Kampf auszutragen gehabt, der mehr war als ein Krieg zwischen Kopf und Herz. Sie wurde sowohl von der Person als auch der Stellung des Herrn von Tiglath angezogen, aber ihre Gefühle und ihr Verstand zogen sie auch immer noch zu Pol hin. Ihre Wahl hatte darin bestanden, eine Seite ihres inneren Zwiespalts zu verleugnen. Nun kämpfte sie wieder mit demselben Durcheinander von Gefühl und Verstand.
Sie mochte Meiglan wirklich – oder hatte zumindest ehrliches Mitleid mit ihr. Ihr praktischer Verstand zwang sie, sich einzugestehen, dass es ihnen wichtige Zugeständnisse von Miyon einbringen konnte, wenn sie das Mädchen hierbei unterstützte – und Tiglath hatte sehr viel mehr mit ihm zu schaffen als Drachenruh. Aber sie war auch eifersüchtig, und dieses Gefühl wurde noch durch die Gewissheit verstärkt, dass es wirklich keine Wahl gab, die politisch oder persönlich schlechter für Pol sein konnte als Meiglan. Miyon würde das Mädchen auf jede nur mögliche Weise gegen ihn einsetzen. Pol wäre ein zwanzigfacher Narr, falls er sie heiraten sollte.
Trotzdem – so blind war er sicher nicht. Und wenn er es nicht sah, dann waren da noch Rohan und Sioned.
Wenn sie es jedoch auch nicht sahen, würde sie keine Zeit verlieren und sie darauf hinweisen.
Tallain kam zurück und brach mit einem märtyrerhaften Seufzer auf dem Bett zusammen. »Eine Geschichte, zwei Glas Wasser und drei Schlaflieder«, berichtete er, ehe sie fragen konnte. »Sionell, ich werde jedes Kind anbeten, das du mir schenkst. Aber bitte tu mir den Gefallen und bekomme sie hintereinander! Zwillinge wären mein Tod!«
»Wenn Antalya erst einmal in ihrem Alter ist, wirst du glauben, du hättest Zwillinge.«
»Das befürchte ich auch. Was hatte all der Wirbel zu bedeuten?«
»Meiglan hatte einen Traum.«
»Oh. Nur gut, dass wir ihren Vater im anderen Flügel untergebracht haben. Die Göttin allein weiß, wie lange es gedauert hätte, sie zu beruhigen, wenn er hier gewesen wäre und das arme Kind verhöhnt hätte.«
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