Sternenlaeufer
bekommen hat. Wenn wir die Schuld verteilen, dann bekomme ich den Drachenanteil.«
»Aber ich war diejenige, die die Lüge ersonnen hat. Rohan … Ich kann es ertragen, wenn er mich zurückweist. Ich glaube wenigstens, dass ich es könnte. Aber es ist mein Tod, sollte er sich selbst ablehnen. Sein Leben beruht auf zwei Tatsachen: dass er ein Prinz ist und ein Lichtläufer. Wie wird er sich fühlen, wenn er herausfindet, dass das, was er für die Lichtläufergabe hält, in Wirklichkeit Zeichen dafür sind, dass Zaubererblut durch seine Adern fließt?«
Rohan beugte sich vor und ergriff ihre Hände. »Jetzt hör mir zu! Du musst ihm vertrauen, Sioned! Anfangs wird er wütend und verletzt sein! Er wird es nicht verstehen! Aber wir sind seine Eltern. Er liebt uns.«
Sie warf ihm ein zynisches, kleines Lächeln zu. »Wir haben uns bereits selbst verurteilt, Rohan, und uns schuldig gesprochen. Wir können nur hoffen, dass Pol anders entscheidet und gnädiger ist.«
In diesem Augenblick entschied Pol nichts Wichtigeres als die Frage, ob er den Dünenstreifen vor sich im Galopp nehmen sollte oder nicht. Obwohl sein Hengst Pashoc nicht am Zügel zerrte, lag doch ein ungeduldiges Tänzeln in seinen Schritten, wie man es von einem Sohn von Rohans altem Streitross nicht anders erwarten konnte. Er wollte rennen, und das sofort.
Pol fühlte sich versucht. Er warf über die Schulter einen Blick auf die anderen: Maarken, Hollis und ihre Kinder ritten in einer Gruppe mit Andry und Nialdan; Feylin und Sionell ritten mit Riyan, Ruala und Meiglan. Als Wache begleiteten sie sechs von Miyons Männern und sechs aus Stronghold. Sie hielten sich in diskretem Abstand, aber die Cunaxaner sahen aus, als würden sie gerne näher kommen. Doch niemand ritt vor Pol, so dass er Pashoc jederzeit nachgeben konnte. Das würde sie alle ein bisschen wachrütteln, dachte er mit verstecktem Grinsen. Seine eigenen Leute waren nervös genug wegen dieser kleinen Expedition heute, dass er nicht auch noch ohne Begleitung davongaloppieren musste.
Trotzdem … Er teilte die Ungeduld des Pferdes, und sie mischte sich mit einer Portion Sorglosigkeit und dem absurden Wunsch, andere zu erschrecken. Pashoc spürte seinen Entschluss, als er das Gewicht im Sattel leicht verlagerte und seine Hände die Zügel anders griffen, und in dem Augenblick, als Pol seine Fersen in die schlanken Flanken hieb, schoss der Hengst davon wie ein Pfeil.
»Pol!«, brüllte Maarken, doch der Ruf verhallte, als der Wind durch Pols Haar blies und die Hufe über den festgetretenen Sand donnerten. Die Wüste verschwamm zu blassgoldenem Licht mit einem feurigen, blauen Himmel am Rand. Mit jedem Schritt vergrößerte Pashoc den Abstand zu den anderen, wurde nur ein wenig langsamer, wenn er eine Düne emporrannte, gewann abwärts aber wieder an Geschwindigkeit. Pol lachte und sah sich selbst, wie er mit Drachenschwingen über die helle Welt tief unter sich schwebte.
Endlich zügelte er seinen Hengst. Während das Tier langsamer wurde, vom Galopp in Trab und dann in Schritt fiel, obwohl seine Bewegungen immer noch die Sehnsucht nach mehr Schnelligkeit ausdrückten, ließ Pol seinen Blick über die Landschaft schweifen. Plötzlich war er atemlos; nicht von dem Ritt, sondern vor Verblüffung.
Die Wüste, für gewöhnlich weißgolden und mit staubigen grünen Sträuchern entlang der Vere-Hügel geschmückt, leuchtete jetzt in allen Farben. Ein Blumenteppich zog sich über die Dünen hin wie Seide, die über die sanften Kurven eines Frauenkörpers drapiert ist. Das Flickwerk von leuchtendem Orange und lebhaftem Scharlach mit tiefstem Türkis wechselte ab mit Bronze und dunklem Karmesinrot und Violett in den Vertiefungen und wurde durchzogen von grünen Tupfen, und das alles leuchtete vor dem Hintergrund aus weiß-goldenem Sand. Rund um Stronghold hatte die Wüste in diesem Frühjahr ebenfalls geblüht, aber hier hatten Wasser und seit Langem schlafende Samen einen Reichtum hervorgebracht, wie ihn selbst Meadowlord oder Syr kaum kannten.
Pol wäre beinahe von seinem Pferd gesprungen, um die Hände in diese unglaubliche Farbenpracht zu tauchen. Doch das vom Sand gedämpfte Donnern der Hufe hinter ihm erinnerte ihn gerade noch rechtzeitig an seine prinzliche Würde. Er drehte sich im Sattel um. Es überraschte ihn nicht, dass es Maarken und Andry waren, die ihn zuerst einholten. Die Pferde, die sie ritten, stammten ebenfalls aus der Zucht von Radzyn und waren so langbeinig und schnell wie
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