Sternenlaeufer
war.
Andry wollte diese Ringe zurück. Jahre des Studiums der Sternenrolle und der Geschichten über Dorval, die dabei ans Tageslicht gekommen waren, hatten ihn überzeugt, dass hinter dem Symbolismus der Edelsteine mehr steckte als eine hübsche Tradition. Aber danach zu fragen würde Pols Aufmerksamkeit auf ihre mögliche Bedeutung lenken, und er war entschlossen, das auf keinen Fall zu tun.
Und dann waren da die Spiegel, der frustrierendste von all den vielen rätselhaften kleinen Hinweisen von Marisel. Wenn Ihr einen Zauberer findet, der einen Spiegel besitzt, schickt den Zauberer ins Exil – zuvor aber zerstört den Spiegel . Nur dieser eine Satz. Keine Erklärung, keine Ausschmückung. Andry, der sich über ihre lebendigen Schriften ein wenig in Merisel verliebt hatte, hatte schon längst entschieden, dass sie aus einer Entfernung von mehreren hundert Jahren faszinierend gewesen war – aber dass sie von Angesicht zu Angesicht wie mehrere hundert Höllen gleichzeitig gewesen sein musste, wenn man mit ihr zu tun bekam.
Nialdan wartete geduldig neben ihm darauf, dass Torien heraufkam und verkündete, dass alle versammelt und bereit seien. Jeder andere wäre inzwischen unruhig geworden; Nialdan stemmte bloß seine beiden großen Füße auf den Boden und stand reglos und geduldig wie ein Baum da. Andry fand die Standhaftigkeit des Mannes tröstlich, besonders nach der langen Nacht, die hinter ihm lag, und angesichts der harten Arbeit, die ihm noch bevorstand.
Valeda hatte ihm kurz vor Sonnenaufgang eine Tochter geschenkt. Hollis, die hier einen Besuch mit Maarken machte, von dem alle hofften, dass er die Probleme lösen würde, über die niemand jemals sprach, hatte bei der Geburt geholfen. Andry hatte sie zuvor schon gesehen, wie sie das Neugeborene hielt, und sein Herz war erfüllt von Mitleid. Sie war unter anderem in die Schule der Göttin gekommen, um den Baum der Mutter zu befragen. Ihre Zwillinge, Chayla und Rohannon, waren fünf Winter alt, und es gab keine Anzeichen für weitere Kinder. Doch nach dem betont fröhlichen Ausdruck zu urteilen, den sie zur Schau stellte, hatte der Baumkreis ihr nicht gezeigt, was sie zu sehen wünschte.
Andry erinnerte sich noch, wie man ihm gezeigt hatte, was er eigentlich vergessen wollte.
Er schloss die Augen und ließ zu, dass sich hinter seinen Lidern, rotgefärbt vom Sonnenschein, der auf sein Gesicht fiel, eingetaucht in die Farbe des Blutes Visionen formten.
Am Tag der Zeremonie, die aus ihm den Herrn der Schule der Göttin machen sollte (O Herrin, lasst mich stark genug sein!), war er zum Baumkreis gegangen. Nachts, leise zitternd in der kühlen Herbstluft, hatte er vor dem Teich unter den Felsen gekniet und ein Haar von seinem Kopf ausgerissen, um es auf dem Wasser schwimmen zu lassen. Symbol der Erde, aus der er gemacht war. Er hatte darin immer ein sanftes, harmloses Ritual gesehen – einen weniger wichtigen Einsatz von Macht, eine seltsame kleine Zeremonie, die ihn an seinen Ursprung und seine Verwandtschaft mit den Elementen erinnern sollte. Er rief die LUFT an, und das Wasser kräuselte sich; er rief eine Fingerflamme herbei und ließ sie auf den Felsen tanzen. Lieblich im Licht der Morgensonne, warm und hell.
Zuerst die Kinder – Gesichter in schneller Folge, die zu schnell verschwanden, als dass er mehr als den vagen Eindruck hätte festhalten können, dass sie alle seine blauen Augen hatten.
Dann das Chaos. Schwerter, Pfeile mit Stahlspitzen, verwundete und sterbende Pferde, männliche und weibliche Krieger, niedergemäht wie Weizen. Schlachtgetümmel. Blut. Radzyn zerstört, Stronghold in Ruinen. Seine Eltern und Brüder, seine ganze Familie vernichtet. Die Schule der Göttin ein rauchendes Gemäuer aus zerschmetterten Steinen, das sich an die Meeresklippen klammerte, Lichtläufer, die nie wieder das Licht reiten würden.
Und schließlich die Sterne. Unzählige Nadelstiche blendenden Lichts. Wie Dolche, die aus der Tiefe des Todes direkt nach oben stachen. Er wirbelte in einem endlosen Eintauchen in die von Sternen durchsetzte Dunkelheit auf sie zu. Die Sterne der Zauberer.
Es war Sorin, der ihn weckte, indem er kopfüber in den Kreis hineinstürzte, in dem sich niemand aufhalten durfte, der kein Faradhi war. »Andry! Andry, wach auf!« Er wurde grob geschüttelt, öffnete die Augen und sah das angstbleiche Gesicht seines Bruders. Er klammerte sich an Sorin und war dankbar für dessen warme, kräftige Arme und diesen ganzen Menschen, der –
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