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Sternenlaeufer

Sternenlaeufer

Titel: Sternenlaeufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Rawn
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Man musste sich nur einmal Drachenruh ansehen, dachte Andry, oder auch nur die Große Halle in Stronghold. Oder sogar den Hoheprinzen selbst, wenn er gewisse Leute daran erinnern wollte, wer genau er war – gehüllt in schwere Seide und geschmückt mit funkelnden Edelsteinen und dem wichtigsten Symbol seiner Autorität, seinem Krönungsreif. Aber Rohan konnte auch barhäuptig, barfuß und in bäuerlicher Wolle auftauchen und dennoch jeden beeindrucken – mit dem lebenden Symbol Sioned an seiner Seite.
    Andry hatte noch nicht den Punkt erreicht, wo er auf Äußerlichkeiten verzichten konnte. Aber er konnte warten. Die Kelche waren für ihn selbst und Nialdan, die Gewänder für die Lichtläufer, die sich jetzt im Hof versammelten. Nialdan selbst war eine Art Symbol, wenngleich der junge Mann wahrscheinlich gestaunt hätte, hätte man es ihm gegenüber auch nur erwähnt. War Andry ein großer, gut gebauter und muskulöser Mann, so wirkte Nialdan wie ein Baum. Er überragte Andry um Haupteslänge, und seine Schultern waren zwei Handspannen breiter. Aus einem braunen Gesicht unter rötlich braunem Haar betrachteten braune Augen geduldig die Welt. Nialdan trug sechs Ringe, die nicht aus der Truhe stammten, die Andry mit seiner Position hier geerbt hatte – der kleinste Finger des Mannes aus Waes war so dick wie der Daumen eines jeden anderen. Er klopfte nicht einfach an eine Tür; er versetzte ihr einen zerstörerischen Schlag, und seine Ringe waren Sonderanfertigungen.
    Auch ein spezieller Kelch war für ihn angefertigt worden, in den Braun-, Rost- und Grüntönen seines Geistes. Farben waren ebenfalls Symbole, und die Edelsteine, die die Lichtläufer benutzten, spiegelten sie. Die Sternenrolle war angefüllt mit Juwelensymbolen. Ein schwaches, zorniges Prickeln erfüllte Andry, wenn er an die Schriftrolle dachte.
    Erst heute Morgen hatte er Maarken aufgefordert, einen Blick auf die endgültige Kopie zu werfen. Sein Bruder hatte zu den zarten Zeichnungen mehr zu sagen gehabt als zu dem Text – weil er die Kopie gesehen hatte, die Urival heimlich angefertigt und vor drei Jahren mit nach Stronghold genommen hatte. Die Kopie, von der Andry eigentlich nichts wissen sollte.
    Maarken inspizierte die gemalten Großbuchstaben, die winzigen Randbemerkungen, Skizzen von verschiedenen Pflanzen, die in Rezepten erwähnt wurden, und die Sternenformationen, die jeden Themenbereich krönten.
    Nicht dass das Lesen irgendjemandem gutgetan hätte. Dies war eine direkte Übersetzung, genau so, wie Lady Merisel es diktiert hatte – aber ihr fehlten die kleinen Markierungen, die auf Lügen hinwiesen. Jeder, der versuchen würde, mit Hilfe dieser Version der Sternenrolle einen Zauber zu sprechen oder ein Gift zu mischen, würde zutiefst enttäuscht werden.
    Die exakte Kopie befand sich in Andrys Gemächern. Er nahm an, dass Maarken auch darüber Bescheid wusste. Heute würde Andry ihm zeigen, zu welchem Zweck er sie eingesetzt hatte.
    Er wusste, wie Urival die andere Kopie verwendet hatte – eine ganz akkurate, mochte die Göttin den alten Mann verdammen. Als er gegen Ende des vergangenen Winters verstorben war, hätte Andry beinahe um ihre Rückgabe gebeten, zusammen mit den paar Dingen von Andrade, die nach Urivals Tod an die Archive zurückgegeben worden waren.
    Was er jedoch wirklich haben wollte, war der Rest ihrer Ringe – oder was davon übrig war. Maarken hatte den Bernsteinbrocken in seine Hochzeitskette eingearbeitet; Sioned trug den Smaragd manchmal an einer Kette um den Hals; der Rubin zierte nun Tobins Krönchen. Chadric hatte den Saphir geerbt, den sie dem alten Prinz Lleyn gegeben hatte, weil er Andrades Freund gewesen war. Chay, Rohan und Pol hatten die anderen Steine – bei Letzterem ärgerte es Andry am meisten. Pol trug den Mondstein als Erinnerung daran, dass er ein Lichtläufer war, wenn er auch nicht in der Schule der Göttin unterwiesen worden war.
    Andry holte manchmal den Granat hervor, den Urival ihm nach Andrades Tod gegeben hatte, aber er hatte es nie so recht über sich gebracht, ihn zu tragen. Der alte Mann hatte den zehnten Ring an Andrades Finger gelassen, als Pfand für den Ehering, den er selbst ihr aufgesteckt hätte, wenn sie gewöhnliche Menschen gewesen wären. Aber die Ketten, die alle Ringe mit Armbändern an Andrades Handgelenken verbunden hatten, waren zu einem zarten, unauffälligen Halsband verarbeitet worden, das Urival bis zu seinem Tode trug und das mit ihm in der Wüste verbrannt worden

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