Sternenlaeufer
augenblicklich zu Hilfe eilen.«
»Es wird schwierig werden, Mächtige. Aber es gibt keinen anderen Ausweg, die Felsenburg zu gewinnen.«
Mirevas Worte hatten die gewünschte Wirkung. Chianas Augen begannen zu glänzen und bekamen den Ausdruck einer verhungernden Frau, der man durch ein Fenster eine Festtafel zeigt.
»Ich werde sie haben. Rinhoel wird die ganze Prinzenmark von der Felsenburg aus regieren …«
»Nein.« Mireva ließ das Wort fallen wie einen Stein. »Ich sehe einen Namen, aber es ist nicht der Eures Sohnes. Ein Verwandter. Nahe. Euch sehr nah.«
»Ich habe keinen Bruder, und mein Vater ist tot. Wer sonst könnte die Prinzenmark fordern, wenn Pol erst …« Sie erblasste. »Nein! Doch nicht der Sohn, den Kostas von Danlady hat! Mein Sohn wird erben! Mein Sohn!«
»Nein«, wiederholte die alte Frau. »Derjenige, der die Prinzenmark regieren wird, heißt Ruval.«
Nur so lange, wie ich brauche, um ihn zu töten, dachte Marron.
»Der Sohn von Ianthe«, flüsterte Mireva.
Chianas zarte Knöchel spannten sich weiß um die Kerze. »Ianthe …!«
»Ruval, Euer Neffe, Weisheit, wird fordern …«
»Nicht, wenn ich es verhindern kann«, lautete die grimmige Antwort.
»Prächtigkeit, wenn Ihr einer alten Frau verzeihen könnt – bitte, seht in diesen Spiegel. Das wird mir helfen, deutlicher zu sehen.«
Marron nahm sich vor, Mireva zu fragen, wie lange sie gebraucht hatte, um all diese ehrenvollen Anreden zu erdenken – bis ihm dann jeglicher Humor verging, als der Spiegel umgedreht wurde und sich auf die Prinzessin richtete. Chiana glitt verloren zu Boden und auf die Knie. Sie konnte die Kerze kaum noch halten.
Erschüttert presste er die Knie zusammen und verkrampfte die Kiefer. Er wusste von dem Spiegel im Hinterzimmer von Mirevas Behausung in den Hügeln; dieser hier sah noch älter aus und war zweifellos noch mächtiger. Damals hatten sie wirklich gewusst, wie man Spiegel machte, seine Diarmadhi -Ahnen …
Das Kerzenlicht spiegelte sich und fiel auf Chianas Gesicht. Als Mireva sie besänftigte, klang ihre Stimme leise und harmlos.
»Euer Sohn wird die Prinzenmark niemals beherrschen, denn das ist reserviert für jene vom ältesten Blut. Aber es gibt einen Weg, die Felsenburg zu gewinnen. Unterstützt Prinz Ruval bei allem, was er tut. Wenn Ihr Prinzessin Sioned in ihrem eigenen Feuer brennen sehen wollt, dann gehorcht mir. Wenn Ihr Rache an den Lichtläufern nehmen wollt, die Euch in Eurer Kindheit eingesperrt haben, dann werdet Ihr gehorchen. Wenn Ihr die Felsenburg als Prinzessin betreten wollt …«
»Ich … werde gehorchen«, hauchte Chiana mit einer Stimme wie der Tod.
»Und wenn Ihr das tut, dann werdet Ihr stark sein. Ich werde Euch diesen Spiegel geben, um Euch zu erinnern. Behaltet ihn immer bei Euch. Schaut jeden Abend im Licht der Sterne hinein. Wenn Ihr leben wollt …«
»Ich werde gehorchen.«
»Verlass uns«, rief ihm Mireva in vollkommen verändertem Ton über die Schulter zu. Marron fuhr zusammen. »Sofort«, fügte sie hinzu. Und er rannte.
Kapitel 7
727: Schule der Göttin
Andry entstammte einer Familie, deren Mitglieder keine Schwierigkeiten hatten, sich auszudrücken. Chay hatte dazu mehr als einmal bemerkt, dass Tobin niemals den Mund hielt, nicht einmal im Schlaf. Aber es war lange her, dass Andry zu einem seiner Verwandten ganz offen und ehrlich gesprochen hatte, ohne Umschweife gesagt hatte, was er im Sinn – oder auf dem Herzen – hatte. Ohne zu zögern. Zeit und Titel hatten sich zwischen ihn und sie gedrängt. Aber heute würde er dies ändern. Er musste es tun, wenn er überleben wollte.
In dem langen Raum über den Toren war alles bereit – die Kelche, die Lichtläufer an seiner Stelle, selbst die Gewänder, die Andry trug – alles war genau so, wie Andry es geplant hatte und wie Lady Merisel es in ihren Schriften festgehalten hatte. Obwohl sie vor Symbolen warnte, statt sie zu erklären. »Symbole stehen für Macht. Aber verwechselt nicht das eine mit dem anderen – wie es meine Feinde häufig taten, die armen Dinger. Und lasst nicht zu, dass die Symbole Euch vergessen lassen, woran Ihr denken sollt. Die Ringe sind nur so stark wie die Hände, die sie tragen.«
Zwei seiner ausgewählten Symbole – die Kelche – warteten darauf, mit Wein und Dranath gefüllt zu werden. Tatsächlich hatte er diese Lektion von Rohan erhalten: Rohan wusste, wie man teure Dinge einzusetzen hatte, um zu beeindrucken und, wenn es sein musste, Ehrfurcht auszulösen.
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