Sternenlaeufer
Außerdem wusste Riyan, wie die Brüder aussahen. Rohan würde mit ihm über seinen Verdacht reden, allerdings nicht mit Tallain. Der junge Herr hatte auch so genug zu tun und musste nicht noch nach Spionen suchen.
Tallain nickte langsam mit leuchtenden Augen. »Vielleicht kann ich ihm weismachen, ich wäre zu einem privaten Handel bereit, und erfahre so, was hinter all dieser süßen Freundlichkeit steckt. Ich glaube ebenso wenig wie Ihr, dass er nichts weiter will als ein Abkommen vor dem Rialla. Aber ich bin gar nicht auf die Idee gekommen, ihn einfach nach Tiglath zu locken.« An Pol gewandt fügte er hinzu: »Ich war acht Jahre lang der Knappe Eures Vaters, so wie Walvis und Tilal vor mir. Und keinem von uns ist es je gelungen, schlauer zu sein als er.«
»Mir auch nicht«, brummte Pol und warf seinem Vater einen spöttischen Blick zu. »Er macht das nur, um uns zu ärgern.«
»Das habe ich mir auch schon gedacht.«
Rohan nippte an seinem Wein und sah unschuldig drein, ohne zu zeigen, dass Tallains Interpretation eine Idee war, auf die er selbst gar nicht gekommen war. Von seiner Tante Andrade hatte er den Trick gelernt, sich mehr Klugheit zuschreiben zu lassen, als er besaß. Das konnte manchmal ausgesprochen nützlich sein.
»Geht nun, Kinder.« Er winkte sie aus dem Zimmer. »Diese ganze Denkerei hat ein Loch in mein Gehirn gebrannt. Ich werde alt, und die jüngere Generation erschöpft mich.«
Prustend kam Pol auf die Füße und begleitete Tallain zur Tür. »Mutter hat irgendetwas gesagt, dass sie heute Abend zu dir zum Abendessen kommen würde. Soll ich ihr sagen, du wärest zu schwach, um sie zu empfangen?«
»Wenn du das tätest«, meinte Rohan fröhlich, »würde sie dir nicht glauben.«
Kapitel 13
Tiglath: Frühjahr, 20. Tag
Es war genau das geschehen, was Tobin vorausgesagt hatte: Zum ersten Mal seit hundert Jahren blühte wieder die Wüste.
Der Regen, der den ganzen Winter über in das pergamenttrockene Land gesickert war, hatte die Arbeit unzähliger Stürme fortgewaschen, die die Dünen ständig neu geformt und schichtweise Sand auf Samen und Sporen gehäuft hatten, die dort seit der letzten Flut schlummerten. Vor langer Zeit von Wind, Drachen und Vögeln dorthin getragen, schwoll das schlafende Leben mit dem Wasser an und zitterte in der Wärme der Sonne, als der Sand fortgeschwemmt wurde. Neuankömmlinge wurden in Wasserrinnen gespült oder von Felsen oder kleinen Tümpeln gefangen gehalten. Diese schlammigen Kessel waren die ersten, in denen es blühte.
Gestrüpp, an dem gelegentlich winzige, trockene Blumen erschienen, erstrahlte in voller Pracht. Kakteen und Sukkulenten sogen das Wasser auf, wuchsen und schmückten sich mit wilden, schönen Blüten. Die Wüste, die in der Erinnerung aller Lebenden niemals andere Farben als Gold und Braun und sonnengebleichtes Weiß gezeigt hatte, überzog sich mit einer Vielzahl von Blau- und Rot- und Orangetönen, doch ganz besonders überraschte überall das Grün.
Und es breitete sich, erst allmählich, dann mit wachsender Geschwindigkeit aus den Canyons und Schluchten aus und legte sich über die Dünen: Schleier aus zögerndem Grün, das sich zu Blumendecken verdichtete. Überall im weiten Sand entfalteten sich unglaubliche Farben, überzogen die Erhebungen und Vertiefungen wie eine Samtdecke einen schlafenden Körper, der sich mit jedem Atemzug sanft bewegt.
Sonst waren immer alle Blumen, die in der Wüste auftauchten, innerhalb weniger Tage verwelkt. Aber Wurzeln und Stiele hatten das Wasser gespeichert, und die Farben lebten nicht nur, sondern steigerten sich noch mit neuen Blüten. Süß und würzig oder stechend und schwer überlagerten viele Düfte den trockenen, dünnen Geruch der Wüstenluft. Und mit ihnen kam neue Bewegung: winzige, geflügelte Geschöpfe, angezogen vom Duft der Blumen. Millionen von Insekten kamen zum Feiern, und manche trugen ebenso viele Farben wie die Blumen. Ihr Summen durchbrach die gewohnte Stille und erfüllte sie schließlich ganz – bis die Vögel kamen. Und dann gab es in der Wüste nicht nur Farben und Duft und Geräusche, sondern auch Musik.
Sionell von Tiglath, die geistesabwesend aus mehreren Hand voll Blumen auf ihrem Schoß einen Kranz band, sah in ihrer gegenwärtigen Begleiterin ein Abbild dieses herrlichen Frühlings: in erster Linie schön, aber gehüllt in ungewohnte Pracht. Sie fragte sich, wer diese wohl zuerst ablegen würde – die Wüste oder Meiglan.
Manchmal kam ihr der Verdacht, das
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