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Sternenschatten

Sternenschatten

Titel: Sternenschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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Anblick war es wirklich wert.
    Aus den sich öffnenden Klappen der Luke purzelten, in den Schneesturm der gefrorenen Luft gehüllt, die Steinköpfe. Der Scheinwerfer des Frachtraums sprang an, in dem blendenden Licht wirkten sämtliche Büsten zuckerweiß, rein und proper, erfüllt von einer traurigen Schönheit. In einem munteren Schwärm trudelten die funkelnden kahlen Köpfe dahin, die nichts von ihrem Optimismus eingebüßt hatten, in stolzer Einsamkeit verschwand ein mürrischer Parteiführer von gigantischen Ausmaßen in der Unendlichkeit, zogen weitgehend unbekannte Gesichter vorbei, deren Ruhm längst nicht so dauerhaft war wie der Stein. Als Letztes trieb es einen erstaunt und kurzsichtig dreinblickenden Kopf aus dem Laderaum, der zu fragen schien: »Was soll das denn? Warum denn mich, Genossen?« Die Büste kam der Kamera gefährlich nahe, überschlug sich und lugte schmollend ins Objektiv. Mascha fluchte los, als habe sie mit ebendiesem Politiker noch eine Rechnung offen. Aber war das so abwegig? Was wusste denn ich, wie und warum sie ihre Eltern verloren hatte und im Heim gelandet war.
    »Weg! Weg mit dem Ballast …«, sang Danilow völlig schief eine unbekannte Melodie, räusperte sich dann und verstummte. Die steinernen Überraschungen schwebten durch die Weiten des Alls … Da würde sich in hunderttausend Jahren irgendeine Zivilisation freuen! Vielleicht würden die stummen Büsten zu überaus wertvollen Exponaten in einem außerirdischen Museum, und die klügsten Köpfe der Zukunft würden sie mit ihren glatten Scheinfüßchen betasten und lange Stielaugen machen, während sie über die Größe der untergegangenen Kultur nachsannen …
    »Und jetzt wird geschlafen!«, sagte Danilow in die Stille hinein, die sich in der Fähre breitgemacht hatte. »In zwei Stunden erfolgt der nächste Sprung. Meiner Ansicht nach steht uns noch eine Serie von drei Sprüngen bevor. Pjotr, brauchst du etwas?«
    »Ja«, musste ich zugeben. »Ich muss zum Klo.«
    Danilow befreite meine Hände und brachte mich zur Toilette. Als ich zurückkam – meine Beine waren noch gefesselt, und ich musste mich auf Danilows Schulter stützen –, fing ich einen Blick des Reptiloiden auf. Einen traurigen und hoffnungslosen Blick. Anscheinend sah mich mein Großvater an.
    »Wirst du nach alldem eigentlich befördert, Danilow?«, fragte ich, während der Oberst mich wieder an den Sitz schnallte.
    Er erwiderte kein Wort.
    »Na klar, du wirst General«, fuhr ich gehässig fort. »Für eine ganze Woche. Oder einen Monat. Danach fackeln die Aliens nämlich die Erde ab. Investiere also besser nicht in Immobilien. Mach dir lieber ein paar schöne Tage. Ein Bungalow, Rum aus einer Kokosnuss, eine attraktive Mulattin …«
    »Spar dir die Mühe, Petja«, sagte mein Großvater hinter mir. »Er glaubt, alles richtig zu machen. Darin besteht ja das Unglück.«
    »Und sparen Sie sich diese trostvollen Worte, Andrej Valentinowitsch«, verlangte Danilow gelassen. »Petja soll mich ruhig für einen Schuft halten. Sie ebenfalls. Aber die Zeit wird zeigen, wer recht hat.«
    Dabei beließen wir es. Das letzte Wort hat immer derjenige, dessen Hände nicht gefesselt sind.
    Ich gab mir alle Mühe einzuschlafen. Ich schloss die Augen. Aber die Anspannung der letzten Tage erwies sich als zu groß. Vor meinem inneren Auge zogen, gleichsam von einem Irren zusammenmontiert, Fetzen aus Videoclips vorbei: die Geometer und die Alari, Schiffe und Planeten, die Wendigen Freunde und der unerschütterliche Cualcua. Der große, einzige, leidenschaftslose Cualcua …
    Jetzt kann ich dir helfen.
    Was?
    Soll ich eine Kampftransformation einleiten?
    Mein Herz hämmerte dumpf. Wie hatte ich meine nicht ganz menschlichen Möglichkeiten vergessen können? Ich könnte meine Fesseln durchreißen …
    Die Frau passt auf. Danilow schläft, aber Mascha ist noch munter. Sie wissen, dass du stärker bist als ein normaler Mensch. Die Frau hat noch einen Paralysator.
    Was schlägst du denn vor?
    Pass auf.
    Meine Finger kribbelten. Ich senkte den Blick und betrachtete meine an die Armlehne geschnallte Hand. Aus dem Zeigefinger kroch langsam ein dünner weißer Faden heraus.
    Wie damals, bei den Wendigen Freunden …
    Der Faden schlängelte sich lautlos zu Boden. Von den vibrierenden Bewegungen des weißen Tentakels ging etwas Widerliches, Spinnenhaftes aus. Dieses gierige Fleisch gehörte mir nicht. Es lebte sein eigenes Leben. Ich brauchte noch nicht mal selbst was zu unternehmen. Ich

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