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Sternenschatten

Sternenschatten

Titel: Sternenschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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mich. In den braunen Schlitzaugen spiegelte sich leichte Neugier wider. Danach starrte er wieder hoch in den Himmel.
    Mich irritierte das dermaßen, dass ich selbst den Kopf in den Nacken legte.
    Da gab es nichts, nur eine einzelne Wolke.
    »Was ist denn mit dir?«, fragte ich, ihn in meiner Verblüffung duzend. Zu spät dachte ich daran, dass er mich ja nicht verstehen würde.
    Und noch später wurde mir klar, dass ich weder Russisch noch Englisch, ja, nicht mal die Sprache der Geometer sprach.
    »Ich liege hier«, antwortete der Mann leise.
    Damit hatte ich Kontakt hergestellt!
    Ich hockte mich hin, den Blick unverwandt auf den Unbekannten gerichtet. In meinem Kopf ballte sich eine gewaltige Dummheit zusammen, die ich natürlich auch noch aussprechen musste. »Schon lange?«
    »Seit heute Morgen.«
    Das Seltsamste war natürlich, dass ich ihn verstand. Kurz schoss mir der Gedanke durch den Kopf, Karel habe auch diesmal seine Finger im Spiel gehabt.
    Aber warum sollte ich mich auf ihn beschränken? Hinter mir lag das Tor, das mich von einer Welt in eine andere gebracht und mir beigebracht hatte, es jederzeit wiederzufinden. Auf eine Veränderung in meiner Psyche mehr oder weniger kam es da ja wohl nicht mehr an.
    Jetzt brauchte ich Rat wie nie zuvor. Aber der Cualcua, der Einzige, mit dem ich reden konnte, schwieg.
    Der Mann stemmte sich auf die Ellbogen hoch und betrachtete mich etwas aufmerksamer. »Wie heißt du?«
    »Pjotr.«
    »Ich kenne dich nicht.«
    Er sagte das ohne Interesse oder Misstrauen, teilte es mir lediglich mit. Als ob er mich kennen müsste und das unbekannte Gesicht ihn irritierte, wenn auch nicht übermäßig, sondern nur leicht.
    »Ich bin zum ersten Mal hier.«
    »Klar.« Er streckte sich wieder im Gras aus. Nach kurzem Zögern folgte ich seinem Beispiel. Hundert Fragen wirbelten mir durch den Kopf, die ich auf der Stelle loswerden musste. Aber jemanden auszuquetschen, heißt ja längst nicht, auch Informationen zu bekommen. Häufig genug ist das Gegenteil der Fall, und man gibt sie preis.
    »Gefällt es dir hier?«
    Jetzt schwang in seiner Stimme Neugier mit.
    »Weiß ich noch nicht«, antwortete ich vage.
    »Mir gefällt es. Schnee.«
    »Was?«
    Die einzige Wolke am Himmel versprach nun weiß Gott keinen Schnee.
    »So heiße ich. Schnee. Ein bescheuerter Name, oder?«
    »Ah … nö … wieso denn …?«
    »Eltern, die ihren Kindern sprechende Namen geben, gehören vor Gericht und wegen Rowdytum angeklagt«, erklärte der Mann voller Abscheu. »Sie behaupten, dass, als ich geboren wurde, die ganze Erde mit dem ersten Schnee bedeckt war. Und das hat sehr schön ausgesehen.« Er verstummte kurz, um dann nachdenklich hinzuzufügen: »Nur gut, dass an diesem Tag nicht die Kanalisation geplatzt ist …«
    Ich lachte. Nicht wegen seines Witzes, den er garantiert schon tausend Mal gebracht hatte. Nein, auf diese Weise entlud sich meine Anspannung.
    Die Bewohner des Schattens waren uns Menschen von der Erde weitaus näher als die Geometer.
    »Hat dein Name was zu bedeuten?«
    »Nein.«
    »Glückspilz. Hast du was zu futtern?«
    »Ja.«
    Der Mann katapultierte sich mit überraschender Energie hoch. »Warum hast du das nicht gleich gesagt? Dann rück mal raus damit!«
    Ich zog die beiden Dosen aus meinen Taschen. Ich hatte keine Lust, etwas zu essen, schon gar nicht das Essen der Geometer. Die Begeisterung, mit der Schnee sich auf das Essen stürzte, ließ mich allerdings stutzen.
    »Gibt es hier denn nichts zu essen?«
    »Im Dschungel?« Der Mann blickte zu dem wuchernden Grün hinüber. »Doch. Aber das ist alles verseucht. Wenn du sterben willst, dann bedien dich … Aber sag mal, was für einen Rotz hast du hier eigentlich angeschleppt?«
    »Das ist Universalnahrung«, knurrte ich. »Da ist alles Notwendige drin: Eiweiße, Fette, Kohlenhydrate, Spurenelemente. Und Wasser. Und Zellulose, damit der Magen voll ist.«
    »Klar, da war für Geschmackstoffe einfach kein Platz mehr.« Trotz der Kritik aß der Mann mit erstaunlichem Appetit und kratzte die Dosen sogar mit den Fingern aus. »Trotzdem danke. Du denkst offenbar mit.« Er schlug mir auf die Schulter. »Da wirst du es noch weit bringen! Wenn du nicht in den Sümpfen verreckst.«
    Schnee war das ganze Gegenteil der Geometer. Mal faul, dann – sobald es ums Essen ging – wieder voller Energie. Nach einem satten Schnaufen ließ er jede Menge langweiliger Witze vom Stapel. Mit irgendwelchen höheren Zielen schien er sich nicht zu belasten. In

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