Sternenschatten
Berge, nackte und bedrohliche Felsen.
»Großpapa!«, schrie ich. »Sascha! Danilow!«
Der Schrei blieb in der feuchten Luft hängen und löste sich auf.
»Mascha!«
Mir wurde es eng in der Brust. Nein, hier war niemand. Vielleicht gab es auf dem ganzen Planeten niemanden außer mir. Wenn man uns beobachtet hatte – und daran hegte ich kaum noch Zweifel – dann konnte man uns auch in unterschiedlichen Welten ausgesetzt haben. Aber wozu? Waren wir Teil eines Experiments? Wollte man unsere Reaktionen testen? Möglich war das natürlich. Nur gehörte dieses Experiment in die gleiche Kategorie wie ein Planet, der als Weltraumbahnhof dient – und ich glaubte nun mal nicht an solche Hyper-Zivilisationen.
Ich klopfte gegen meine Taschen, um mich zu vergewissern, dass die Dosen mit dem Essen noch da waren. Mehr war mir nicht geblieben. Also wirklich – was sollte das? Am Ende doch irgendein Survival-Experiment?
Ich riss ein paar Büschel von dem hohen Gras aus und wischte mir damit den Dreck ab. Das Gras war stinknormal. Gewiss, ich war kein Botaniker, aber nüchtern betrachtet, wirkte die Flora wie die auf der Erde. Ich durfte hoffen, dass im Dschungel auch keine Dinosaurier umherliefen.
Der Kopfschmerz ließ etwas nach, gab Ruhe. Damit beruhigte auch ich mich. Und nun bemerkte ich endlich, was mir schon längst hätte auffallen müssen.
Ich stand auf genauso einer Fläche wie auf dem Irrstern – ich stand mitten in einem Tor.
Das war schon komisch. Ich hätte nicht schlüssig erklären können, wodurch sich diese Stelle von ihrer Umgebung unterschied. Nicht einmal in Gedanken, für mich selbst, fand ich Worte. Ich spürte diesen dicht bewachsenen Fleck einfach, genau wie eine Kompassnadel ein Stück Eisen spürt.
Obendrein wusste ich, dass das Tor geschlossen war. Ich konnte auf dem Gras herumstapfen, springen, rennen oder mich auf dem Boden wälzen – es würde nichts passieren.
Zu diesem Transportsystem konnte man den Welten des Schattens nur gratulieren. Das waren nicht die schnöden »Telefonzellen« der Geometer, nein, das war etwas, das aus der umliegenden Realität selbst geschaffen worden war, aus ihrem Stein, Gras und Schmutz. Außerdem hinterließ dieses Tor im Bewusstsein eine Spur, ein Zeichen.
»Und? Was habt ihr nun davon?«, fragte ich, während ich mich umsah.
Nur zu gern wollte ich glauben, irgendjemand habe tatsächlich irgendetwas von alldem. Und dass von meinem Handeln und meinen Worten in diesem Moment etwas abhinge.
Mit ein paar Schritten trat ich in die Mitte des Tors. Erwartungsvoll blieb ich stehen.
Ich könnte hier Wurzeln schlagen, und es würde nichts passieren! Trotzdem hätte ich wahrscheinlich noch ewig so dagestanden und auf sonst was gewartet.
Doch genau in diesem Moment bewegte sich das hohe Gras am Rand des Waldes, ohne dass auch nur das geringste Lüftchen ging.
Was hatte ich doch gleich über Flora und Fauna gedacht? In null Komma nichts lag ich auf dem Boden und spähte in die grünen zitternden Halme hinein. Wir können die organischen Stoffe fremder Planeten nicht essen, das hatte ich vor gar nicht allzu langer Zeit meinem kleinen Nachbarn erklärt. Aber war das auch jedem außerirdischen Raubtier klar?
Das Gras beruhigte sich wieder. Prompt gaukelte mir meine Phantasie einen im Verborgenen auf dem Sprung lauernden Säbelzahntiger vor. Das war insofern noch gut, als es in der Galaxis ja genügend Monster gibt, bei deren Anblick du dich glatt einem Tiger in die Arme wirfst.
Wegzulaufen wäre dumm und obendrein gefährlich gewesen. Das Gleiche galt für die Idee, näher heranzugehen. Andererseits konnte ich ja wohl nicht stocksteif liegen bleiben oder mich in der Erde vergraben, oder?
Ich hockte mich erst hin, dann richtete ich mich zu voller Größe auf – manche Raubtiere schrecken ja vor einem größeren Gegner zurück – und ging los. Mit langsamen, aber möglichst sicheren Schritten.
Vielleicht konnte ich ihn abschrecken …
Doch dann erkannte ich, an wen ich mich heranschlich.
Im plattgedrückten Gras lag – die Arme ausgestreckt und in den Himmel hochschauend – ein junger Mann. Etwas jünger als ich, so zweiundzwanzig vielleicht. Aschfarbenes Haar und dunkle, leicht kupferfarbene Haut. Er trug eine grüne, sich kaum vom Gras abhebende Jacke, Hosen in derselben Farbe und schwere Schuhe mit abgelaufenen Sohlen. Seine Kleidung zeigte Spuren von eingetrocknetem Dreck, als sei der Mann durch den Sumpf gekrochen. Langsam richtete er den Blick auf
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