Sternenschatten
nichts mehr. Wir fielen.
Ein Laut erhob sich, vielleicht auch kein Laut, sondern ein kurzes Jammern, ein Stöhnen des Raums. O ja, das war ein Übergang, eine weitere Variante im Spiel mit den Dimensionen, nicht die, die sich die Menschen ausgedacht hatten, nicht die, welche die Geometer benutzten.
Ich spürte, wie mein Bewusstsein erlosch, wie ich abstumpfte, meine Gedanken nur noch träge und lethargisch dahinflossen.
Aber immerhin passierte etwas. Wenigstens irgendetwas.
Zweiter Teil
Der Schatten
Eins
Ein Aufprall. Ein Aufprall und Licht. Ich landete mit dem Gesicht in klebrigem Dreck, alle viere von mir gestreckt, obwohl ich im Fallen versucht hatte, mich auf den Rücken zu drehen, um den an meine Brust gepressten Reptiloiden zu schützen.
Da hatte ich allerdings auch schon begriffen, dass niemand mehr bei mir war.
An den Augenblick, als Danilows Hand, die sich so fest an meinen Arm geklammert hatte, verschwunden war, als der an meine Brust gepresste Zähler sich in Luft aufgelöst hatte, konnte ich mich nicht mehr erinnern. Ich lag in diesem kalten Matsch, kniff im blendenden Sonnenlicht die Augen zusammen, zog unwillkürlich die Knie an den Bauch, bis ich eine Embryonalstellung einnahm, und war kurz vor einem hysterischen Anfall. Man hatte uns auseinandergerissen. Mit der legeren Routine eines erfahrenen Chirurgen hatte man uns voneinander getrennt.
In meinen Schläfen hämmerte Schmerz. Mein Kopf schien ein gusseiserner Rohling zu sein, der gerade den Schmiedeofen, die Walze und die Presse durchlaufen hatte. Würgereize krampften meinen Hals zusammen. Ich war durch den Raum geschleudert worden, ziemlich weit offenbar, denn hier war die Luft ganz anders, geschwängert von schweren, unangenehmen Gerüchen. Die Schwerkraft entsprach der auf der Erde oder war sogar etwas größer. Das Licht, das mir auf die Augen fiel, kam mir selbst durch die geschlossenen Lider hindurch blendend hell vor.
Ich presste die feuchten, schmutzigen Hände gegen die Schläfen und hockte mich hin. Der Schmerz ließ nach, wenn auch langsam und widerwillig. Ein Zittern durchlief meinen Körper. Ob das Folgen des Übergangs waren? In diesem Fall würde ich den Jump immer bevorzugen … von heute an, für alle Ewigkeiten …
Die roten Kreise hinter meinen Lidern erloschen. Vorsichtig machte ich die Augen einen Spalt auf. Die Welt wirkte unscharf und verblasst, wie eine alte Photographie. Mit jeder Sekunde füllte sie sich jedoch mit grellen, satten, mit wilden Farben auf.
Ein Dschungel.
Ich war an der Grenze zwischen Dschungel und Sumpf aufgeschlagen, auf einem schmalen Streifen feuchter, mit hohem Gras bewachsener Erde. Die am Horizont aufgehende Sonne – ich spürte einfach, dass es nicht abends, sondern morgens war – leuchtete heller als auf der Erde und mit einer kaum wahrnehmbaren fahlen Nuance. Links zog sich die dichte, undurchdringliche dunkelgrüne Mauer dahin, prangten orange-gelbe Flecken der Blumen, rankten sich die weißen Peitschen von Luftwurzeln. Rechts erstreckte sich trügerisch von Gras gesäumtes, glattes grau-braunes Moor. Allein durch den löchrigen Grasteppich in Ufernähe, der vom Absturz eines gewaltigen Etwas zerfetzt zu sein schien, schimmerte der Sumpf. Erschaudernd fragte ich mich, ob nicht vielleicht zwei Menschenkörper in den Morast gefallen waren.
Nein, wohl kaum. Dafür wirkte der braune Matsch zu ruhig und unaufgewühlt. Außerdem waren die Maße der Lichtung zu groß: Da hätte schon ein ganzes Schiff abgestürzt sein müssen.
»Mist!«, flüsterte ich, während ich vom Rand des Morasts wegkroch. Wenigstens da hatte ich Glück gehabt. Schon in meiner Kindheit hatte ich das Moor nicht gemocht, vielleicht weil ich als kleiner Junge einen Film gesehen und mich gefürchtet hatte oder weil ich einmal, bei einem Spaziergang mit meinem Großvater, im Moor gelandet war … Mein Großvater hätte ein solches Abenteuer durchaus aushecken können, zu pädagogischen Zwecken. Die Psychoanalyse will ich lieber gar nicht erst bemühen. Auf alle Fälle mag ich keine Sümpfe.
Weiter weg vom Ufer war der Boden zwar fester, aber immer noch feucht und nachgiebig. Ich stand auf und wischte mir angeekelt den Dreck vom Gesicht. Dann sah ich mich um. Hier war niemand. Zumindest im näheren Umkreis nicht. Aber was für eine bizarre Landschaft. Nichts als Sumpf, bis zum Horizont nur Moor, ein ganzer Ozean von Dreck. Der Dschungel schien sich rund zwanzig Kilometer auszudehnen, dahinter erhoben sich
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