Sternenschimmer
Mit bitterem Lächeln vergegenwärtigte ich mir das irdische Sprichwort, die Zeit heile alle Wunden. Würde diese Volksweisheit jemals auf Ariel zutreffen? Oder waren seine Wunden solche, die von Tag zu Tag eher größer wurden? Unweigerlich drängte sich mir meine andere Sorge auf. Wenn Iason nach Loduun zurückging, würde diese Wunde jemals in mir heilen? Eine Weile lang ließ ich zu, dass sich die beiden Sorgen torpedierten. Sie wechselten sich damit ab, an die Oberfläche meines Bewusstseins zu dringen. Dann hörte ich Schritte und wusste sofort, wem sie gehörten.
Iason blieb hinter mir stehen und legte seine Jacke um meine Schultern. Er schloss mich in die Arme und schaute in den Garten. Für die Dauer dieses Augenblicks fielen alle Sorgen von mir ab. Gemeinsam genossen wir die Stille.
»Bleib heute Nacht hier«, drang seine warme Stimme in mein Ohr.
Ich lehnte den Hinterkopf an seine Schulter.
»Deine Mutter wäre einverstanden.«
»Hast du sie angerufen?«
Natürlich hatte er. Iason würde so etwas nie vorschlagen, ohne die Anstandsregeln zu wahren.
Viele Herzschläge vergingen, bis ich mich umdrehte. Niemand brauchte mir etwas von unserem Schicksal erzählen. Wenn ich in sein Gesicht sah, glaubte ich daran.
Er nahm meine Hand und führte mich, ohne den Blick von mir zu wenden, hinein. Ich folgte ihm die Treppe hinauf.
Was mir durch den Kopf ging? Nichts. Es war, als schwirrten meine Gedanken in luftleerem Raum. Ich wusste nur, dass ich mit ihm zusammen sein wollte, solange es ging. Ein sanftes Lächeln umspielte seine Lippen, als wir die Tür zu seinem Zimmer erreichten. Ich hatte es bisher noch nie gesehen. Ein Teil von ihm, der mir bisher verborgen geblieben war. Den er jetzt für mich öffnete …
Der Raum war nur spärlich eingerichtet. Zwei Betten standen rechts und links vom Fenster. Davor waren ein Schrank, eine Kommode und ein gut sortiertes Bücherregal. Dann gab es noch einen Tisch unter dem Fenster und einen Stuhl. Es war ganz schlicht, und doch hatte dieser Ort etwas an sich, dass mir schwummerig wurde. Woran lag das? Leises Klirren erfüllte den Raum. Einen solchen Ton hatte ich noch nie gehört. Er hatte etwas Sphärisches.
»Woher kommt dieses Klingen?«, fragte ich leicht benommen.
Doch ehe Iason mir antworten konnte, fiel mein Blick auf einen großen Stein auf dem Fensterbrett. Nein, es war kein Stein, es war eher ein ungewöhnlicher Kristall, der in allen Farben schimmerte. Er strahlte wie Iasons Augen. Fast hypnotisiert ging ich auf ihn zu. Das angenehme Klirren schien aus seinem Inneren zu kommen. »Was ist das?«
Iason stand hinter mir. »Berühre es«, sagte er leise.
Als ich zögerte, legte er die Hand um meine. Langsam tauchten unsere Finger in das Strahlen ein. Ein wohltuendes Schwingen erfüllte mich. Ich griff nach dem Kristall. Er war glatt und kalt wie Eis, und doch durchströmte mich eine angenehme Wärme. Wie konnte das sein? Ein leichter Wind frischte auf, hier mitten im Zimmer. Er strich über meine Haut, wehte durch mein Haar, und dann spürte ich den Boden nicht mehr.
»Fühlst du es?«
»Ja«, flüsterte ich, »aber ich kann es nicht benennen.«
»Das ist Loduun. So fühlt es sich an.«
Ich war so gebannt, ich konnte mich kaum mehr regen. Fremde Welten zu sehen, hatte oft etwas Atemberaubendes. Das wusste ich, denn meine Eltern waren früher viel mit mir gereist. Sie aber zu spüren, ging weit darüber hinaus.
Sanft und doch bestimmt zog Iason meine Hand fort .
Ich blinzelte benommen und kehrte wieder in die Realität zurück – oder das, was ich bisher für die einzige Realität gehalten hatte.
»Nicht, dass es dich süchtig macht.« Seine Stimme barg etwas Verheißungsvolles.
Ich benötigte einen Augenblick, um mich zu sammeln. »Es ist wunderschön«, sagte ich.
Er nickte. »Das ist es.«
»Sehen so all eure Steine aus?«
»Wir nennen es Krahja.«
»Es klingt so angenehm«, flüsterte ich und musste niesen.
Iason sah mich einfach nur an. Er legte die Hände an mein Gesicht, seine Daumen strichen über meine Wangen. Langsam beugte er den Kopf zu mir hinab, und ich spürte die Hitze, die von ihm ausging, als seine Lippen meine berührten. Meine Sorgen schienen Vergangenheit. Und dann konnte ich einfach nicht mehr an mich halten. Ich vergrub die Hände in seinem Haar und begegnete ihm mit all der Leidenschaft, die er in mir weckte. Ich hatte sie so lange unterdrücken müssen, dass es mich beinahe um den Verstand gebracht hätte. Deshalb
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