Sternenschimmer
Wir sollten dorthin mitfahren. Die Hand hält Tom gewiss außerhalb versteckt.«
»Klingt doch gut.« Greta setzte sich zu mir. »Es dauert höchstens fünf Minuten, hat Iason gesagt.«
Ich nickte. Meine Kehle war trocken wie Papier.
Es war kaum zu ertragen, aber uns blieb tatsächlich nichts anderes übrig, als zu warten.
Frank schloss das GPS an, zog sich die Kopfhörer auf und lauschte.
»Hörst du was?«, fragte ich ängstlich.
Er hieß mich mit einer Handbewegung, still zu sein.
Ich trommelte auf die Sitzlehne, fuhr mir durchs Haar und knabberte an meinen Fingernägeln. Dann wandte ich mich wieder Frank zu, der erneut mit einer Geste abwehrte.
Nervenzerreißende drei Minuten später erreichten wir eine Haltestelle. Drei Leute stiegen aus.
Angespannt fingerte ich an der Fensterdichtung herum.
Fünf Minuten später.
Es dauerte lang – zu lang.
Sieben Minuten und zwanzig Sekunden später.
Mein Herz raste. Ich war kurz vorm Durchdrehen. Ob Warten einen um den Verstand bringen konnte? Ich widmete mich wieder der Fensterdichtung, die ich inzwischen gute zwanzig Zentimeter abgekratzt hatte.
Elf Minuten später.
Ich schaute aus dem Fenster. Vor meinem inneren Auge sah ich einen verbrannten Körper. Ich wandte den Blick ab. Warten konnte einen tatsächlich um den Verstand bringen. So fühlte es sich also an, wenn etwas einen in den Wahnsinn trieb. Greta legte den Arm um mich und stützte ihr Kinn auf meine Schulter. »Er schafft es, Mia.«
Sechzehn Minuten später.
Wir erreichten die nächste Haltestelle. Die letzten beiden Fahrgäste verließen das Schiff. Jetzt waren wir mit dem Fahrer allein.
Zweiundzwanzig Minuten später.
Ich rollte die Gummikrümel zwischen meinen Fingern und sah zu Greta. Sie wich meinem Blick aus.
»Frank?«, fragte ich schwach. Schwarze Funken tanzten vor meinen Augen.
Frank zog langsam die Kopfhörer ab. »Mia«, sagte er leise. »Iason hat gesagt, es dauert höchstens fünf Minuten.«
Ich sprang von meinem Sitz auf. »Von was redet ihr da!?« Ich eilte durch den Gang zum Fahrerhäuschen und klopfte wie eine Irre ans Fenster.
Der Fahrer versenkte per Knopfdruck die Scheibe und sah zunächst genervt, aber als er mich erkannte, gleich wieder milder hinaus.
»Bi…bitte«, stammelte ich zitternd. Das ist ein Notfall.« In meiner Hilflosigkeit rüttelte ich an seiner Schulter. »Bitte halten Sie am nächsten Einkaufszentrum an. Nur zwei Minuten«, flehte ich mit gefalteten Händen.
Der Mann blickte mir prüfend in die Augen. Ich weiß nicht, was er dort gesehen hatte oder ob er meinte, mir noch etwas schuldig zu sein, jedenfalls seufzte er und drosselte kurz darauf das Tempo.
Wir sanken tiefer und schon bald konnte ich die rote Aufschrift eines Supermarktes ausmachen.
Als der Fahrer das Schiff zum Stehen gebracht hatte, drückte er den Off-Knopf des Motors. Er drehte sich zu mir hin und hielt seinen rechten Zeige- und den Mittelfinger vor mein Gesicht.
» Zwei Minuten«, warnte er, »länger darf ich das Schiff nicht anhalten.«
»Sie sind ein Schatz. Das schaffe ich.« Ich gab ihm einen Kuss auf die Glatze.
Die Tür öffnete sich. Ich sprang aus dem Schiff und stürmte über den Parkplatz. Hinter mir riefen meine Freunde. Doch ich achtete nicht auf sie und brach durch die Eingangstür des Supermarktes.
Warum ich so lief?
Es durfte einfach nicht wahr sein, nur weil es wahr schien. In letzter Zeit hatte ich mich so oft geirrt. Deshalb rannte ich in derHoffnung, nein, in dem Bangen, dass es auch diesmal anders war, als es aussah.
Ich lief, ich rannte, so schnell ich konnte. »’tschuldigung!«, rief ich immer wieder, wenn ich versehentlich einen Kunden anrempelte. Ich sprang über einen gebückten Mitarbeiter des Supermarktes und spürte, wie mein Absatz ihn am Kopf traf. »Tut mir leid!« Ich ignorierte die empörten Rufe, als ich durch die Einkaufshalle jagte.
Dort vorne sah ich sie. Ich stürmte darauf zu. Noch ein paar Meter. Nur wenige Schritte. Ein letzter Spurt … und ich war da. »’tschuldigung.« Keuchend drängelte ich mich an einer Frau vorbei, die ihre Wahl noch nicht getroffen hatte.
Die Frau protestierte lauthals. Aber ihre Beschwerde wich sogleich sprachloser Fassungslosigkeit, als ich »ist ein Notfall« keuchte, ihr den leeren Stoffbeutel entriss und dort fast den gesamten Inhalt der Eistruhe hineinstopfte.
Ich blickte auf meine Armbanduhr. Noch dreißig Sekunden. Das musste genügen. Ich stürmte auf den Computer zu und steckte meinen
Weitere Kostenlose Bücher