Sternenschimmer
herabgefallenen Apfelzweig fort.
»Ich halte das nicht mehr aus. Glück – Pech. Armut – Reichtum. Das alles ist so ungerecht verteilt. Es ist einfach nicht fair, Frank. Dieses Leid in ihren Gesichtern.« Ich sah zu ihm hin. »Wenn sie zurückschauen, dann wirken sie viel älter, als ihre Körper es eigentlich sind. Ihre Augen erzählen nahezu Bände über all das, was sie erlebt haben.«
Frank kam näher und tätschelte sachte meine Schulter. »Hast du wirklich nie vorher darüber nachgedacht, was es bedeutet, hier zu arbeiten?«
Ich sah weg. »Ich hatte keine Ahnung … ich meine …« Die Stimme versagte mir.
Er ging in die Knie, um seine heruntergerutschte Tennissocke hochzuziehen. »Mia, was dachtest du denn, warum sie hier sind?« Er fing meinen Blick ein. »Du schaffst das«, sagte er eindringlich.»Du darfst deine Ziele nur nicht so hoch stecken, dass du sie nicht mehr erreichen kannst.«
Wer hätte das gedacht? Frank erledigte seine Aufgabe bravourös, und ich dachte ans Kapitulieren.
Frank erhob sich wieder. »Silas, Luna und ich möchten morgen in die Stadt. Airking braucht dringend neue Tragflächen. Die alten sind schrottreif. Wenn du uns begleiten würdest, könnten wir noch weitere Kinder mitnehmen und anschließend zu einem Indoorspielplatz gehen, was hältst du davon?«
»Solange Iason nicht mitgeht, bin ich einverstanden.«
»Ich dachte, ihr hättet euch vertragen?«
»Das hatten wir auch.« Ich legte den Kopf erst auf die eine und dann auf die andere Seite. »Für ungefähr zweieinhalb Stunden«, schätzte ich.
Er stieß leicht das Seil der Schaukel an. »Pass auf, dass du nicht harmoniesüchtig wirst.«
Seine Stichelei entlockte mir ein erstes Schmunzeln. Ich stand auf und knuffte ihm freundschaftlich in die Seite. Frank erwiderte meine Geste. Dann schlenderten wir Arm in Arm zum Haus zurück.
Als wir die Küche betraten, stand Iason am Spülbecken und wusch zwei Teller ab. Anschließend reichte er sie Hope, die mit einem Geschirrtuch neben ihm stand. Frank klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter. Er sah kurz auf, erblickte mich und wandte sich wieder dem Abwasch zu.
»Wir gehen morgen in die Stadt, um neue Tragflächen für Airking zu kaufen. Danach wollten wir zum Indoorspielplatz.« Frank lächelte Hope zu. »Wie sieht’s aus? Magst du mitkommen?«
Gut, dass er es unterlassen hatte, meine Anwesenheit bei der Aktion zu erwähnen.
Hope zupfte mit einer tonlosen Mundbewegung an Iasons Ärmel. Der ließ dem Besteck in seinen Händen eine ausgedehnte Behandlung zuteilwerden. Dann bewegten sich seine Lippen, den Blick weiterhin auf das Besteck gerichtet.
Hope sah zu Frank und schüttelte den Kopf. »Iason holt mich morgen gleich nach der Schule ab.«
»Iason, was soll das?« Auf Franks Worten lag eine ungewohnte Betonung. »Du kannst sie hier nicht von allem fernhalten.«
»Ich lasse nicht zu, dass sie weiterhin von den hirnlosen Kommentaren deiner Erdengenossen drangsaliert wird.«
Frank schob seine Brille zurück. »Und was kommt als Nächstes? Willst du sie irgendwann auch nicht mehr in die Schule gehen lassen?«
Iason legte das Besteck beiseite. Er stützte sich mit beiden Händen an der Küchenzeile ab und ließ den Kopf hängen. »Hope, gehst du bitte mal kurz nach oben.« Seine Finger wölbten sich auf der Arbeitsplatte, während er wartete. Als die Kleine verschwunden war, hob er die Hand, und ich rechnete damit, dass er gleich auf die Platte schlagen würde. Aber er tat es nicht. Stattdessen drehte er sich zu uns um. »Frank«, sagte er, und in seiner Stimme bebte eine unterdrückte Kraft. »Ich habe einfach Angst um Hope. Meine Schwester ist mit ihren sechs Jahren schon weitaus mehr verletzt worden, als andere in einem ganzen Leben. Das muss irgendwann aufhören.«
Schweigen. In Iasons Worten lag Wahrheit, das wussten wir alle.
»Ich hoffe, du weißt, was du da tust«, entgegnete Frank und verließ resigniert den Raum.
Iason räumte, ohne mich zu beachten, das Geschirr in den Schrank zurück …
…als lautes Scheppern, gefolgt von einem »Oh, Mist!« aus dem Keller drang.
»Silas«, riefen wir wie aus einem Mund und stürzten los.
Auf der Kellertreppe kam uns ein rot besudelter Junge entgegen.
»Was ist passiert?«, stieß ich erschrocken hervor und da war ich auch schon bei ihm.
»Ich wollte Airking anmalen. Und als ich im Regal ganz oben nach der Farbe fischen wollte, da«, er holte tief Luft.
»Verstehe«, seufzte ich. »Na los.« Ich streckte
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