Sternenschimmer
die Hand aus. »Komm, wir gehen nach oben zum Waschen.«
»Du kommst allein klar?«, fragte Iason.
Auf mein Nicken hin verschwand er wieder in der Küche.
Ich schickte den Jungen ins Bad, ging in sein Zimmer und holte den Schlafanzug. Als ich zu ihm kam, hatte er das Sweatshirt ausgezogen und rubbelte mit einem Waschlappen an seiner farbverschmierten Wange herum.
Ich deutete auf sein Halstuch. »Willst du das zum Waschen nicht ausziehen?«
Silas schüttelte den Kopf.
»Ich kann auch rausgehen«, schlug ich vor. »So bekommst du den Hals nie sauber.«
Silas witschte ohne eine Antwort an mir vorbei und in sein Zimmer. Das Schleifen der Nachttischschublade verriet, dass er sie öffnete. Kurz darauf kehrte er mit einem neuen Halstuch zurück.
»Aber nicht gucken«, mahnte er mich streng.
Ich hob beschwörend zwei Finger, ging hinaus und zog die Tür hinter mir zu.
Kurz darauf hörte ich Wasserrauschen und blickte zufrieden zum geschlossenen Badezimmer. Doch dann übermannte mich wieder die Wut auf Iason, die sich mehr und mehr in mir aufstaute. Was war das für ein Mensch, der in einem Moment so einfühlsam und liebevoll sein konnte, während er sich im nächsten wie ein Despot aufführte? Ich kochte und brodelte, wünschte ihm, was ich ihm alles wünschte … als plötzlich ein zartes, buntes Glitzern meine Aufmerksamkeit fesselte. Was war das? Gebannt starrte ich auf das schillernde Etwas, das durch die Ritzen der Badezimmertür strahlte. Es war wie ein leuchtender Schein, der zwar hinausdrang, sich jedoch nicht weit verbreitete.
»Silas!«, rief ich besorgt. »Ist alles in Ordnung?«
»Ja. Bin gleich fertig.« Seine Stimme hörte sich etwas zittrig an, aber das kam wohl eher von der Anstrengung, mit der er die Farbe abzuwischen versuchte. Ansonsten schien er quicklebendig. Und dann, genauso plötzlich, wie es gekommen war, verschwand das bunte Glitzern auch wieder. Was bedeutete das? Ich war mir ganz sicher, es hatte etwas mit dem Abnehmen des Halstuchs zu tun. Was verbargen die Kinder darunter? Das Rätsel warf mir so viele Fragen auf, dass ich meine Wut für einen Moment völlig vergaß. Erst als ich Schritte auf der Treppe hörte, rückte sie wieder in mein Gedächtnis.
Als Iason in den oberen Flur trat, kreuzte ich die Arme vor der Brust und kehrte ihm den Rücken. Seine Schritte hielten inne – dann kamen sie auf mich zu – immer näher – bis sie dicht hinter mir verstummten. Ich drehte mich nicht um. Reglos standen wir da. Sein Atem strich über meinen Nacken und binnen einer Milliardstelsekunde begannen mein Herz zu rasen und meine Hände zu zittern. Was zum Teufel wollte er denn noch? Ich presste die Arme fester an meinen Körper. Die Intensität seiner Gegenwart raubte mir komplett den Atem. Und plötzlich wusste ich seine Hand über meiner Schulter. Sie berührte mich nicht, aber ihre Energie brannte durch meine Kleidung. Meine Schultern wurden immer heißer, die körperlose Verbindung immer glühender – und mit einem Mal war sie fort. Kälte durchströmte mein Inneres.
Iasons Schritte entfernten sich. Dann hörte ich, wie eine Tür ins Schloss fiel.
9
D r. Henke hatte uns gerade gebeten, die Mathematikbücher aufzuschlagen, als Lena – heute zur Abwechslung einmal mit gelben Haaren – wie so oft in letzter Minute angeschossen kam. Henke sah auf die Uhr und musterte sie streng über den Rand seiner Hornbrille hinweg. »Das ist das dritte Mal diese Woche, Lena.«
»’tschuldigung«, keuchte sie. »Ich verspreche Ihnen, dass ich dafür heute auch ganz besonders gut aufpasse.«
Dr. Henke gab ein zufriedengestelltes Brummen von sich, als sich erneut die Tür öffnete.
»Entschuldigung, Dr. Henke«, sagte eine ruhige, mir nur allzu bekannte Stimme.
Dr. Henke sah flüchtig von der Tafel auf und hieß Iason eintreten.
Meine Hoffnung, dass Iason, ganz in die Aufgabe vertieft, Hopes Leibwächter zu spielen, die Schule vergessen würde, war damit verflogen. Stattdessen stand er nun mit einer beigen Dreiviertelhose und dunkelblauem Polohemd in der Tür und sah unverschämt gut aus.
Lena stieß mich mit dem Ellenbogen an. »Da kommt die Sünde«, flüsterte sie.
»Er ist keine Sünde, er ist ein Arschloch!«, zischte ich zurück.
Iason funkelte mich an. Gut! Er hatte es verstanden.
Lena sah mich verständnislos an. Da der Unterricht begann, zog sie ihr iPad raus und kritzelte mit ihrem Pen darauf.
Wie kommt der Sinneswandel? Hat Iason Dir wegen gestern noch was gesagt?
Ich
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