Sternenseelen Bd 2 - Solange die Nacht uns trennt
sich angeeignet hat, könnte sie jeder sein.«
»Vor allem, wenn sie schon lange hier lebt.«
»Das glaube ich nicht.« Raphael schüttelte den Kopf. »Shiori hat recht. Wir waren unvorsichtig. Ansgar und Samuel sind uns viel zu nahe gekommen. Warum hätte sie sich diese Gelegenheit entgehen lassen sollen?«
»Wer weiß, was sie ausheckt? Aber selbst wenn wir es so weit eingrenzen, hilft das kaum weiter. Wir können das Internat im Auge behalten, aber was ist mit all den anderen Bewohnern des Ortes? Selbst wenn ich mithelfe, sind wir zu wenige, um jeden zu überwachen. Vielleicht lebt sie auch wie ihr im Wald.«
»Ich weiß, und das macht mir Sorgen.« Sie traten auf die Wiese, die den Wald von Lillys Haus trennte. An der Tanne, unter der er sich immer von ihr verabschiedete, drehte er sie mit sanftem Druck zu sich um. »Was muss ich tun, damit du von hier weggehst? Nur bis wir das Problem mit Lucretia gelöst haben.«
»Ich werde dich nicht im Stich lassen. Nicht, wenn ich dir vielleicht helfen kann.«
Er zog sie in seine Arme, vergrub seinen Kopf in ihren Haaren, drückte sie voller Verzweiflung an sich. »Ich würde es nicht ertragen, wenn dir etwas zustößt.«
Sie umfasste sein Gesicht mit beiden Händen, erschüttert von der Angst, die in seiner Stimme mitschwang, der bedingungslosen Liebe, die in seinen Augen lag. »Ich kann auf mich aufpassen. Das habe ich mehrfach bewiesen. Lass dich nicht von mir ablenken. Konzentrier dich ganz auf deine Aufgabe.« Sie presste ihre Lippen auf seine. »Ich liebe dich.«
In dieser Nacht fiel ihnen die Trennung schwerer als je zuvor. Sie klammerten sich wie Ertrinkende in einem Ozean der Einsamkeit und Sehnsucht aneinander, gaben einander den Halt, den sie in der Härte der Welt verloren hatten.
Viel später, als Lilly im Bett lag, vergrub sie ihre Nase in dem Pulli, den sie getragen hatte, roch seinen Duft, der daran hängen geblieben war, und ließ sich davon in eine Traumwelt führen, in der sie ohne Sorgen in seinen Armen liegen durfte.
16
† S o geht es wirklich nicht weiter. Ich wollte niemals eine Mutter sein, die ständig Regeln aufstellt oder Hausarrest verteilt, aber du lässt mir keine andere Wahl.« Moni verschränkte ihre Hände vor der Brust, nur um sie sogleich wieder kraftlos herabfallen zu lassen. »Wir waren doch früher ein so gutes Team.«
Lilly musste erst mal tief Luft holen. Sie hatte kaum das Haus betreten, da hatte Moni sie regelrecht überfallen, nachdem sie sich am Morgen nur wenige Minuten gesehen hatten. In der Küche herrschte das dazu passende Chaos. Sämtliche Schränke waren ausgeräumt, ein Putzeimer mit Lappen stand daneben. Offenbar hatte ihre Mutter eine Ausrede gesucht, um sich in der Küche aufhalten zu können, da dort das einzige Fenster war, aus dem man direkt auf die Straße sehen konnte. Dass Moni plötzlich der Putzwahn gepackt hatte, konnte sie sich nicht vorstellen – selbst der klassische Frühjahrsputz war bei ihnen regelmäßig ausgefallen, weil sie selten lang genug in einer Wohnung gelebt hatten, als dass sie wirklich hatte dreckig werden können.
Nun sah sie Moni an und entdeckte in ihrem Gesicht tiefe Falten, die vor einigen Wochen noch nicht da gewesen waren. Die Sorge, schuld an ihrer zunehmenden Entfremdung zu sein, setzte ihr zu. Am liebsten hätte Lilly sie umarmt und in alles eingeweiht. Sie vermisste ihre verrückte Mutter – all die Jahre war sie ihre beste Freundin gewesen, und nun war sie gezwungen, sie immer mehr auf Distanz zu halten. Vor einer guten Woche hatte sie ein Gespräch zwischen ihr und Thomas belauscht, in dem sie erneut ihre Besorgnis äußerte, dass ihre Liebesbeziehung die Ursache für die Probleme sei. Sie befürchtete, dass Lilly nicht mit der Tatsache zurechtkam, dass nun ein neuer Mann in ihrem Leben existierte und nicht nur eine harmlose Affäre, wie sie Moni all die Jahre davor hatte.
Wie gerne hätte Lilly ihr gesagt, dass es nicht daran lag, dass sie froh war, dass sie endlich einen festen Platz gefunden hatten und nicht mehr ständig umziehen mussten. Sie genoss die neue Beständigkeit und die Gewissheit, dass da jemand war, der sich um ihre Mutter kümmerte.
»Sind meine Noten nicht in Ordnung?«, fragte sie und hasste sich für den patzigen Unterton. Nachdem sie den ganzen Tag über in der Schule alle Lehrer und Schüler misstrauisch beobachtet hatte, voller Angst, ohne es zu wissen, mit der geheimnisvollen Lucretia zu sprechen, fühlte sie sich seelisch ausgelaugt. Ihr
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