Sternenseelen Bd 2 - Solange die Nacht uns trennt
gestehen musste, dass die Geschichte der Sternenseelen und -bestien etwas ungemein Faszinierendes hatte. Und wer weiß, vielleicht ergaben sich hier ganz neue Möglichkeiten für sie? Sie konnte es nicht fassen, dass die Stargazer zu diesen Freaks gehörten, und noch weniger, dass nun auch Mikael irgendwie an diese Lilly gebunden war. Sie biss sich auf die Unterlippe. Das würde sie ändern, nahm sie sich vor. Ihren Plan, einen reichen Freund zu finden, würde sie so schnell nicht aufgeben, und jetzt hatte sie den anderen Mädchen gegenüber immerhin den Vorteil, dass sie ein Geheimnis mit ihnen teilte. Und notfalls blieben ihr noch Lukel und Phil. Fynn hingegen schied aus. So verzweifelt war sie noch nicht, dass sie sich einem Irren an den Hals warf.
Sie gingen über die Wiese, und Calista schwor sich, zuerst ein heißes Bad zu nehmen und ihre schmerzenden Füße in Creme zu ertränken. So wie sie wehtaten, fürchtete sie sich, diese scheußlichen Stiefel auszuziehen. Lilly würde was erleben, sollte sie die nächsten Tage nicht tanzen können. »Wie geht es jetzt weiter? Ihr erwartet doch nicht ernsthaft, dass ich tatenlos herumsitze, während eines dieser Viecher hier umherstreift.«
»Sie verlangen es.«
Calista fiel auf, dass Anni sich dabei nicht einbezog. Also gab es auch in dieser Gruppe Meinungsverschiedenheiten. Gut zu wissen. »Ich habe sie gesehen – was, wenn sie zurückkommt, um mich zu töten?«
»Wenn sie das wollte, hätte sie es vorhin schon erledigt.«
»Da bin ich nicht so sicher.« Sie erinnerte sich an den Gesichtsausdruck des Mädchens, den Widerstreit, der sich darin gezeigt hatte. »Sie war unsicher. Vielleicht ändert sie ihre Meinung?«
»Tagsüber wendest du dich an Madame Favelkap. Sie wird dich beschützen.«
»Sie gehört auch zu euch?« Davon hatten sie ihr bisher nichts erzählt.
»Sie ist ein Mensch, aber sie unterstützt uns. Hast du dein Handy dabei?«
Calista schüttelte den Kopf.
Daraufhin zog Anni einen schwarzen Filzstift aus einer Hosentasche, ergriff Calistas Arm und schrieb auf die zarte Haut des Handgelenks eine Nummer. »Ruf mich an, wenn du in Schwierigkeiten steckst. Der Empfang ist im Wald zwar manchmal gestört, aber ich komme, so schnell ich kann.«
»Schade, dass du kein süßer Junge bist, sonst hätte ich jetzt etwas zum Angeben.«
»Tut mir leid.« Anni zwinkerte ihr zu, woraufhin Calista beinahe beschämt den Kopf gesenkt hätte, aber sie riss sich gerade noch rechtzeitig zusammen. Miststück hin oder her, doch sie hatte zu oft Witze über Annis Vorliebe für Schals gemacht, um ihr gegenüber unbefangen sein zu können. Witze über ein KZ -Opfer zu machen ging selbst ihr zu weit. Ach, zur Hölle mit den Schuldgefühlen, dachte sie. Wie hätte sie das ahnen können, und für solch eine modische Sünde verdiente man keine andere Behandlung.
Für Tücher hatte sie ohnehin nicht viel übrig – das hatte sie ihrer Mutter zu verdanken. Sie verstand einfach nicht, wie ihre Eltern jemals zueinandergefunden hatten. Ihr Vater erfüllte sämtliche Klischees des skrupellosen Geschäftsmanns, für den eine Familie nur ein weiteres nützliches Accessoire war, aber nichts, dem man sich länger widmete, als notwendig war – ebenso wenig, wie man einen Küchenboden schrubbte, nachdem er bereits sauber war. Ihre Mutter hingegen war ein der Welt entrückter Kolibri. Flatterte von einer Blüte der esoterischen Erkenntnis zur nächsten, um sich anschließend in Träumen voller Geister, Seelen und Aliens wiederzufinden.
Als Kind hatte sie ihre Mutter hingebungsvoll geliebt – sie waren im Frühjahr barfuß über Blumenwiesen gerannt, hatten aneinandergekuschelt Kakao getrunken, während aus den Boxen meditative Musik schallte. Ihre Mutter war Liebe. Reine bedingungslose Liebe.
Dann wurde sie erwachsen, sah die blauen Flecken an ihrem Körper, wann immer Vater zu Besuch war, hörte das Schluchzen tief in der Nacht, roch den Alkohol in ihrem Atem, und die magische Welt, die sie mit Händen und Worten erschaffen hatte, zersprang. Zurück blieb das Bild einer Frau, die sich vor der Realität flüchtete und ihrer Tochter nur die Wahl ließ, ihr zu folgen oder zurückzubleiben.
Trotz allem hatte Calista den Glauben an die Magie, das Übernatürliche nie ganz verloren. Es war das Einzige, was sie noch mit ihrer Mutter, der einzigen Familie, die sie je hatte, verband. Deshalb gelang es ihr, die Existenz der Sternenseelen zu akzeptieren, als hätte man ihr ein Stück eines
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