Sternenseide-Zyklus 1 - Kind der Dunkelheit
Augen zum Rand des Teiches, ihre Hand umklammerte den Paarungsstein an ihrer Kehle. Die Rotmähnen traten zur Seite, und das Spiegelbild der Barohna fiel aufs Wasser.
Sie war eine Frau, die der Sonne beraubt war. Noch glühte der Paarungsstein zwischen ihren Fingern.
Kaduras Hände ballten sich über ihrem Herzen und versuchten, den Schmerz fortzupressen. Sie las alles, was geschehen war, aus dem Gesicht der Frau, selbst als die Frau die Kette mit dem Paarungsstein ergriff und in den Teich warf.
Das Wasser kräuselte sich, und die versammelten Wächterinnen seufzten vereint. Die Barohna hob das Gesicht. Ihre Stimme zitterte gegen den Wind. »Die Sonne ging aus meinen Steinen, und der Stein ging aus meinem Herzen. Ich bin gekommen, um meine ruhigen Jahre unter euch zu verleben.
«
Kadura wandte sich um und sah, wie das Blut aus Khiras Gesicht wich. Sie stand langsam auf. Ihre Gesichtszüge schienen aus Eis gemeißelt zu sein; so blaß war sie, so unbeweglich.
Der Junge sprang auf die Füße, durch Khiras Reaktion erschüttert. »Sie – Khira, wer ist sie?«
Khiras Augen waren sehr groß im Schatten. »Rahela – die Steingefährtin meiner Mutter. Sie ist zu Fleisch geworden und hat meine Mutter alleingelassen.«
Der Junge leckte die trockenen Lippen und versuchte zu begreifen. »Sie ...«
»Ich muß üben.« Khiras Stimme war matt.
»Aber –
warum?«
Das war Rahela, die Tiahnas Stein zum Glühen gebracht hatte? Sie hat ihren Thron verlassen? Der Junge verstand sie nicht.
»Ich muß üben«, wiederholte Khira, dieses Mal mit einem Beiklang von Hysterie. Sie drehte sich blind um, floh vom Unterrichtsplatz; entfloh der Frau, die sich umdrehte, um ihr nachzuschauen und sie fragend anzusehen.
Der Junge zögerte, nicht einmal fähig, eine stumme Frage für Kadura zu formulieren. Dann wandte er sich um und lief Khira nach. Als ihre Schritte schwächer wurden, ließ Kadura den Kopf auf die Brust fallen, der eisige Schmerz in ihrem Herzen war größer als je zuvor. Sie holte zitternd Atem, und als sie ausatmete, ließ sie ihren Widerstand gegen rasch wuchernden Eiskristalle erlahmen. Da war Schmerz im Eis; Schmerz, als sich die scharfkantigen Kristalle in das weiche Fleisch ihres Herzens bohrten; aber schließlich würde die Kälte ihr Taubheit und Frieden bringen. Dann würde sie nicht mehr an Khira denken müssen, die so jung gerufen war, ihrem Tier gegenüberzutreten.
14 Khira
»Die Sonne ging aus meinen Steinen, und der Stein ging aus meinem Herzen.«
Khira stolperte vom Unterrichtsplatz, blind für alles, außer dem Nachbild Rahelas am Teich. Der Schock hatte ihr Blut tief ins Innere des Körpers getrieben und ihn kalt werden lassen. Betäubt schob sie den Umhang zurück und streckte die Arme aus. Sie waren grau. Wie Stein.
Jedes Teil von ihr war Stein. In diesem Moment wollte sie nur stehenbleiben; ein gemeißeltes Denkmal. Aber sie mußte ihren Spieß haben. Und einen Packen mit Kleidung und Nahrung. Sie mußte diese Dinge haben, um zu üben. Sie starrte auf die leeren Hände hinunter, die Finger bleich, steif verkrampft. Würden sie so bleiben, kalt und unnütz? Wie konnte sie zuschlagen, wenn sie die Finger nicht um den Stiel ihres Spießes schließen konnte?
Wie konnte sie ihr Tier finden, wenn ihre Beine sie nicht trügen?
Sie war sich schwach des Jungen bewußt, der hinter ihr rief. Sie wandte sich nicht um. Er gehörte zu einer anderen Zeit; einer Zeit, bevor Rahela den Paarungsstein dem Wasser übergeben hatte; einer Zeit, da der Sonnenthron in einer fernen Zukunft gewartet hatte.
Nun beschattete er ihr Leben, verdunkelte ihre Augen, so daß sie kaum sehen konnte.
»Khira –
bitte!«
Das Flehen in seiner Stimme rührte sie durch den Schock hindurch. Sie hielt an und drehte sich steif um. Dunkeljunge hatte seinen Nachtumhang beiseite geworfen und trug nur den grauen Anzug, den Timar ihm geschneidert hatte, als sie eben in die Ebene gekommen waren. Mondlicht spiegelte sich schimmernd in seinen Augen. Bestürzung und Schmerz spiegelten sich in seinem Gesicht. »Khira – ich begreife nicht. Diese Frau ...«
»Rahela. «
»Die Steingefährtin deiner Mutter – warum ist sie hier?
Khira schüttelte schweigend den Kopf, versuchte dumpfe Pochen zu verbannen, das ihren Kopf erfüllte –Dröhnen langsam pulsierenden Blutes durch verstein Adern. »Sie hat die Kraft der Steine verloren. Ihre Tochter, Lihwa muß versteinert sein.« Ungeduldige Lihwa; niemand hatte von ihr erwartet, daß sie
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