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Sternenseide-Zyklus 1 - Kind der Dunkelheit

Titel: Sternenseide-Zyklus 1 - Kind der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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Furcht. Die Verse unterstrichen nur, wie wenig sich geändert hatte, seit die erste Palasttochter gegangen war, um ihre Probe zu bestehen. Nach all den vielen Jahrhunderten schliefen noch immer Breeterlik in tiefen Höhlen und verpesteten die Luft mit dem Gestank von Fleisch, das zwischen ihren Zähnen verfaulte. Klipp-Charger rutschten noch immer in ihrem Hornpanzer den Berg hinab, und Stech-Madder glitten nach wie vor an der Oberfläche ruhiger Teiche entlang. Schneeminxe schlichen noch als weiße Schatten umher.
    Palasttöchter übten noch.
    Hand, sei sicher. Auge, sei wachsam.
    Endlich schlief sie unruhig ein.
    Als sie am nächsten Morgen erwachte, war sie nicht in der Lage zu üben. Sie kämpfte sich aus dem Schlaf wie aus einer erstickenden Decke, schwitzend. Dunkeljunge beugte sich
    besorgt über sie. »Du hast geweint, Khira. Im Schlaf. Und dein Gesicht ...« Er prüfte ihre Wangen mit den Fingerspitzen.
    Fieber. Sie hatte versucht, stark zu sein, aber an diesem Morgen war die Furcht, die in ihrem Geist loderte, auch in ihrem Körper. Sie schob ihren Umhang beiseite und setzte sich auf. Schwindel zwang sie wieder aufs Bett. »Ich habe Fieber.« Sie würde heute nicht üben.
    Noch viele Tage lang trainierte sie nicht. Später fand Dunkeljunge eine Höhle, die höher auf dem Berg gelegen war, und half Khira zu ihr hinauf. Dann suchte er nach Kräutern, die sie ihm beschrieben hatte, und bereitete sie zu. Sie halfen nicht. Das Fieber hielt an, ein körperliches Zeichen ihrer Schwäche. Alzaja war im Unrecht gewesen. Ihr Herz war nicht aus Stein. Es war aus Fleisch; und das Fleisch versagte.
    Sie träumte im Fieber, verträumte viele Nächte und Tage. Sie erwachte oft, um Dunkeljunge an ihrer Seite sitzen zu sehen, der versuchte, seine Sorge zu verbergen. Oder sie erwachte und fand den Lenkenden über sich gebeugt, wie er ihre Hand drückte und sie stumm bat, gesund zu werden.
    Einer?
In ihren Träumen verschmolzen Dunkeljunge und der Lenkende und wurden zu einer Person, manifestiert in zwei Persönlichkeiten. In ihren Träumen erkannte sie sogar, warum der Lenkende ungeschickt, seine Stimme rauh war. Er hatte auch Angst, und die Furcht zog seine Muskeln zusammen, versteifte seine Gelenke. Furcht schnürte ihm die Kehle zu und machte seine Stimme kratzend.
    Er hatte Angst. Sie hatte Angst. In ihren Träumen kamen Tiere zu ihr, und sie rang mit ihnen, bis ihr Bettzeug mit Schweiß durchtränkt war. Erschienen die Tiere nicht, kam Tiahna; ihr Paarungsstein war trübe, die Armbänder aus Sonnenstein an ihren Handgelenken waren tot. Dann kämpfte Khira, um den Schlaf von sich abzuschütteln, getrieben von einem zunehmenden Gefühl der Dringlichkeit. Sie mußte zum Tal gehen. Sie mußte zu den Menschen gehen. Tat sie es nicht, würden sie sterben.
    Aber jedesmal, wenn sie versuchte zu gehen, waren die Tiere wieder über ihr.
    Die Tiere … Tiahna … das Tal .. .
    Endlich, in der siebten Nacht ihrer Krankheit, ging das Fieber zurück; sie lag geschwächt im Bett. Der Junge saß schlafend gegen die Höhlenwand gelehnt, die Stirn ruhte auf den Knien. Sie studierte sein Profil, die Linie von Stirn, Nase und Kinn mit einer neuen Klarheit. Er war derjenige, der den Stein von ihrem Herzen genommen hatte. Er war derjenige, der sie zu Fleisch gemacht hatte. Sie hatte sich um ihn gesorgt, wie sie sich noch nie um jemanden gesorgt hatte – Alzaja eingeschlossen –, und mit ihrer Sorge hatte sie ihren steinernen Kern verloren.
    Geschwächt erhob sie sich und tastete sich zum Eingang der Höhle. Die Nacht war klar, die Sterne waren blaß. Wenn sie statt dieser heiteren Lichtpunkte Adar sehen könnte, wenn sie ihre Augen mit seinen Kriegsfeuern füllen könnte ...
    Aber heute nacht würde sie nicht den Lärm von Adars Trommeln vernehmen. Sie würde seinen Zorn nicht in sich aufflackern fühlen, der Furcht und Scham ausmerzte. Dies war nicht Adars Jahreszeit.
    Ich werde nie zu meinem Tier gehen, sagte sie sich, außer, um zu sterben. Ich habe Dunkeljunge den Stein aus meinem Herzen gegeben. Jetzt kann mich nichts mehr stärken.
    Sie ging zur Höhle zurück. Sie war erleichtert, daß Dunkeljunge sich nicht rührte, als sie in ihr Bett zurückschlüpfte.
    Am nächsten Tag verließen sie die Höhle und wanderten langsam durch die Berge. Im Gehen stellten sie Stöcke für den Kampf her und flochten Zielscheiben. Aber wenn Khira übte, tat sie es widerwillig, ohne mit dem Herzen dabei zu sein. Dunkeljunge trieb sie sanft an,

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