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Sternenseide-Zyklus 1 - Kind der Dunkelheit

Titel: Sternenseide-Zyklus 1 - Kind der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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beobachtete besorgt ihre Untätigkeit; er jagte und kochte für sie. Nachts, das wußte sie, wachte er oft, während sie schlief. Er glaubte, ihre Zurückhaltung und ihr Widerwille rührten noch von der Krankheit her. Sie ließ ihn in dem Glauben; sie wußte nicht, wie sie es ihm sonst beibringen sollte.
    Sie wanderten fünf Tage lang durch die Berge. Am Morgen des sechsten Tages erwachte Khira durch ein Geräusch außerhalb der Höhle, in der sie schliefen. Als sie mit hämmerndem Herzen nach dem Spieß griff, fiel ein Schatten in den Eingang der Höhle. Vorsichtig glitt Khira aus dem Bettzeug und berührte des Jungen Schulter. Seine Lippen öffneten sich, die Pupillen glänzten im gedämpften Licht. Sie hielt einen Finger an die Lippen und deutete auf den Eingang der Höhle.
    Bevor er aus seinem Bettzeug schlüpfen konnte, betrat Nezra die Höhle.
    Langsam senkte Khira den Spieß, die Nackenhaare sträubten sich ihr. Nezras kindlicher Körper war fast in einem schwarzen Umhang verschwunden, aber ihr seidiges Haar hing frei auf die Schultern. Sie hielt einen Wanderstab wie einen Kampfstock in der welken Hand.
    »Meine Mutter ...«, sagte Khira unwillkürlich. Hatte Tiahna bereits die Gewalt über ihren Stein verloren?
    Nezras helle Augen glitzerten kindlich-leuchtend und boshaft in ihrem verwelkten Barohnagesicht. »Tiahna bittet dich sofort zum Palast zu kommen, um Mittsommer zu feiern. Die Menschen verlangen danach, dich zu sehen.«
    »Sie ...« War das alles? War Nezra nur deswegen gekommen? War es bereits Mittsommer? So bald?
    »Du wirst die Arnimi gegen Mittag auf der nördlichsten Wiese von Ladanas Tal antreffen. Sie werden dich in ihrem Flugwagen zum Palast bringen.«
    »Die – die Arnimi sind noch im Tal meiner Mutter?« Khira war überrascht, daß sie nicht mehr an Verra und Commander Bullens gedacht hatte, seit sie den Palast verlassen hatte.
    Nezra senkte den Stock und schlug mit ihm auf den Boden. »Gibt es einen Grund, weshalb sie nicht da sein sollten?«
    »Nein.« Sie hatte Tiahnas Drohung gegen die Arnimi nie für mehr als eine augenblickliche Laune genommen. »Nezra ...«
    »Ich hab keine Zeit«, antwortete Nezra und schlug nochmals ungeduldig mit dem Stock. »Mittsommer kommt auch in die Ebene, und meine Rotmähnen warten auf mich. Schließ dich den Arnimi unten an.«
    »Und wenn ich nicht gehe?« begehrte Khira auf, verärgert durch Nezras eigenwillige Art.
    Nezra schaute aus starren Augen zu ihr. »Gibt es irgendeinen Grund, warum du nicht kommen solltest?«
    Khira zitterte. Etwas Finsteres spähte aus Nezras Pupillen hervor, etwas Unmenschliches. Es erinnerte sie an einen Stech-Madder, der an der Oberfläche eines Teiches ruhte und lauerte. »Ich werde auf der Wiese sein.«
    Nezra nickte und senkte die Lider über die Drohung in ihren Augen. Sie wirbelte ihren Umhang um sich und verschwand. Für einen schwindelnden Augenblick fragte sich Khira, ob ihre Füße überhaupt Abdrücke im Staub hinterlassen hatten.
    Abdrücke waren vorhanden; und als Khira zum Eingang der Höhle ging, sah sie Nezras schwarze Gestalt den Berghang hinabmarschieren; ihr goldenes Haar glänzte. Von hinten hätte sie eine Palasttochter im Umhang ihrer Mutter sein können; ein Kind, vor drei Jahrhunderten zu einem mitleidlosen Geschick geboren.
    »Du möchtest nicht zum Sommerfest gehen?« fragte Dunkeljunge sanft. Khira wandte sich dem Innern der Höhle zu und vermied es, seinem Blick zu begegnen. »Ich werde gehen.« Die Worte sagten nichts. Sie würde gehen; und wenn die Menschen sie sahen, würden sie wissen, daß ihr Tal verloren war. Verloren durch einen Mangel in ihrem Herzen. Verloren, weil Angst dort war, wo Mut hätte sein sollen.
    Sie stiegen schweigend den Berg hinab. Als sie Ladanas Tal erreichten, war es Mittag, und der Luftwagen der Arnimi wartete. Khira näherte sich schweigend; zu sehr in Gedanken versunken, um zu bemerken, daß der Junge kurz zögerte, bevor er ihr folgte.
    Der Luftwagen hob sich über die Berge. Khira starrte auf Felsspitzen und vorspringende Steinbildungen hinunter, und das Brummen des Motors befreite sie von ihren Gedanken. Wäre sie nicht so vertieft gewesen, hätte sie gesehen, daß Dunkeljunge steif aufrecht saß, die Kiefer zusammengepreßt, die Hände um die Lehnen des Sitzes geklammert.
    Bald überflogen sie Terlaths dunkle Gipfel, und das Tal lag unter ihnen; grüne Felder und leuchtende Obstgärten. Sonnenlicht schien in breiten Strahlen von den Linsen am Berghang und sammelte

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