Sternenseide-Zyklus 1 - Kind der Dunkelheit
sich vor dem Gefühl, das sie in ihm wachrief, fürchtete sich vor allen anderen Gefühlen, die zum Leben erweckt werden könnten.
»Du fürchtest dich vor deinem eigenen Schatten«, zisch Khira mit neuerlicher Verachtung.
Der Junge wand sich; und Kadura fand, daß es genug war. »Khira, geh zum Regal und nimm die pulverisiert Terriswurzeln heraus. Dann bring Becher mit Wasser. Ihr beide braucht mehr Schlaf als Argumente.«
Khira wandte sich Kadura zu und vergaß alle Versprechungen in einem Aufblitzen von Zorn. »Er
ist
ängstlich schnappte sie. »Schau ihn nur an! Er schüttelte sich, als sie ihn fand – plapperte mit sich selbst. Er ...«
»Kind!«
sagte Kadura mit solch schneidender Autorität, daß Khira blaß wurde und sich zurückzog. »Kind, dies ist dein Freund, und er braucht dich. Willst du ihn nicht endlich annehmen?«
Khiras Augen blitzten kurz auf; Zorn und Ablehnung wirbelten durch ihren Verstand. Den Lenkenden annehmen? Was war er denn, außer einem Geschöpf der Benderzic? Gewiß war er Dunkeljunges Feind – und der ihre. Er ...
»Nein, er ist nur ein Aspekt deines Freundes«, sagte Kadura. »Er ist der Aspekt, der die Vergangenheit bewacht, aber er möchte auch die Gegenwart berühren. Er möchte nach dir greifen. Und der andere Aspekt deines Freundes Dunkeljunge – sucht nach der Vergangenheit, die der Lenkende bewacht. Wenn dein Freund nicht in beiden Manifestationen berühren kann, wonach er greift, dann dürfte er immer so bleiben, wie er jetzt ist – gespalten.«
Khira sank auf die Fersen zurück und beugte den Kopf als wären Kaduras Worte körperliche Schläge. »Wenn ich ihn nicht annehmen kann – wenn ich den Lenkenden nicht annehmen kann ...«
»Aber du kannst es. Du bist stark.«
Sie hatte die richtigen Worte gewählt. Khiras Zorn und Ihre Ungewißheit verließen sie. Sie seufzte und blickte über das Feuer. Der Lenkende saß dort, steif, verkrampft, ablehnend. Doch er konnte das Flehen in seinen Augen nicht verbergen. »Ich werde es versuchen«, sagte Khira endlich.
»Du wirst erfolgreich sein«, versicherte ihr Kadura. »Und jetzt die Terriswurzeln, Khira!« Wieder stach ihr das Eis ins Herz. Der Schmerz würde nicht nachlassen, bis sie die beiden schlafen sähe.
Während der nächsten Hände von Tagen kehrte eine gewisse Heiterkeit in ihr Kefri zurück. Der Junge fuhr fort zu greifen; der Lenkende suchte schüchtern bei Tag Khiras Gesellschaft; Dunkeljunge träumte nachts und wachte auf, um festzustellen, daß seine Träume verschwunden waren. Manchmal half er Kadura bei ihren morgendlichen Hausarbeiten und sprach sie schweigend an.
Kadura, du weißt, was ich träume. Wenn du mir sagen würdest …
Sie verweigerte es ihm jedesmal. »Du versteckst deine Träume selbst vor dir. Wenn du bereit bist, wirst du sie finden.«
Nein, der Lenkende versteckt sie. Wenn du mir hilfst, sie zu finden …
»Kind, wir wählen jeder unseren eigenen Weg. Wenn du bereit bist, dich zu erinnern, dann wirst du deine Füße auf diesen Weg setzen, und du wirst dich erinnern.«
Wann er für diesen neuen Weg bereit wäre, konnte sie nicht abschätzen. Khira arbeitete daran, den Lenkenden zu akzeptieren, aber sie war oft schmallippig und angespannt in seiner Gegenwart. Und egal, wie vorsichtig Kadura sich selbst schützte: Dunkeljunges Träume ließen sie häufig wach werden; Schweiß klebte ihr dann am Körper, und ihr Haar war feucht. Manchmal verließ sie des Nachts schweigend das Kefri und ging zum Gedächtnishaus, um dort schlafen.
Dort war es, wo Nezra sie eines Morgens fand, Hände nachdem Khira und der Junge in der Ebene eingetroffen waren. Kadura wachte auf und fand die mißgestaltete Barohna über sich, ihren gesprenkelten Stein in welken Hand.
Kadura setzte sich fröstelnd auf. Vor drei Jahrhunderten hatte Nezra ihr Verhärtungsopfer vor der Zeit genommen. Sie war in die Berge gegangen – ein eigenwilliges Kind zehn Jahren – und zurückgekehrt; nicht als Barohna, sondern als etwas anderes; etwas, was man vorher auf Brakrath nicht gekannt hatte. Sie besaß die Statur eines Kindes, Gesicht einer Barohna und nur eine Gabe. Obwohl Edelsteinmeister Sonnensteine für sie geschliffen hatten, hatte sie nie gelernt, sie mit Licht zu erfüllen. Statt des war sie erneut zu den Bergen gegangen und hatte dort ein Stein für sich gefunden; dunkel, getrübt und unberührt außer durch sie. Durch ihn fing sie Botschaften in der Luft auf und wenn die Stimmung sie bewegte, beförderte sie
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