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Sternenseide-Zyklus 1 - Kind der Dunkelheit

Titel: Sternenseide-Zyklus 1 - Kind der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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dieses Jahr ging. Sie hatte noch eine Schwester aufzuziehen, ein Kind von vier Jahren.
    »Sie – Rahela ist keine Barohna mehr?«
    »Sie ist eine Barohna ohne Stein. Wie meine Großmutter. Wie Upala. Und sie hat meine Mutter alleingelassen. Meine Mutter hat jetzt niemanden mehr.«
    Dunkeljunges Pupillen verengten sich in raschem Verständnis. »Sie warf den Paarungsstein ins Wasser, weil sie ihn nicht mehr benutzen kann. Und jetzt, da deine Mutter allein ist ...«
    Ein Bild von Tiahna blitzte kurz in seinem Verstand auf. Wie würde sie ohne die Sonne in ihren Augen aussehen? Mit dem getrübten Sonnenthron hinter ihr?
    »Ihr Herz wird auch zu Fleisch werden. Sie wird das Tal verlassen müssen.«
    »Wann?«
    »Wenn sich ihr Herz verwandelt. Jetzt – oder Hände später als jetzt. Wenn es sich verändert, bevor ich versteinere ...« Dann würde das Tal den langsamen Tod eines ausgedehnten Winters kennenlernen; kümmerliche Feldfrüchte, sterbende Strünke, schwächende Kälte.
    »Aber du kannst jetzt nicht gehen. Du bist zu jung. Was du mir erzählt hast – über Nezra ...«
    Khira zitterte. »Ich werde am Tag meiner ersten Volljährigkeit gehen.«
    »An deinem Geburtstag? Nächstes Frühjahr?«
    »Ja.« Ihr dünnes Flüstern stand zwischen ihnen; sie fror plötzlich und erschauerte; und erkannte, daß alles in ihr zu
    Stein geworden war, außer einem lebenswichtigen Organ: dein Herzen. Als sie daran dachte, was ihr bevorstand, fing Ihr Herz zu schmerzen an; sie dachte an die Härte, die Einsamkeit und endlich an die Probe. »Ich muß gehen, Dunkeljunge. Ich muß im Frühjahr zum Berg gehen. Und ich muß jetzt anfangen zu üben.« Sie schaute zu ihm empor mit der Bitte um Verständnis.
    Er betrachtete sie eine Zeitlang schweigend. Sie konnte erkennen, daß er protestieren wollte. Aber schließlich nahm er ihre Hand und hielt sie zwischen seinen Händen, wärmend. »Ja. Ich werde dir helfen.«
    Und plötzlich war sie überhaupt nicht mehr steinern. Plötzlich war sie schwach, das Blut brauste ihr im Kopf, bis Ihr schwindelte. Mit dem Blut kamen Tränen, Panik und Scham. Alzaja war gelassen gegangen – würde sie in Furcht gehen? Sie griff nach Dunkeljunges Arm. »Dunkeljunge, wenn jetzt die Wächterinnen vom Teich kommen; wenn sie kommen ...«
    Er hielt sie fest, barg ihr Gesicht an seiner Schulter. »Ich werde nicht zulassen, daß sie dich weinen sehen«, versprach er.
    Ihre Erleichterung darüber, daß er sie verstand, ließen ihre Tränen noch stärker fließen.
    Sie verließen das Lager beim nächsten Tagesanbruch, mit Packen auf dem Rücken und Spießen in den Händen. Kadura schaute ihnen von ihrem Kefri aus nach, sie hatte sich in ihren Umhang eingewickelt, als versteckte sie eine tödliche Schwäche. Als sie die Grenze des Lagers erreichten, wandte sich Khira um, um zurückzuschauen; sie wußte, daß es nicht das Lager war, das sie hinter sich ließ, sondern die Kindheit. Sie würde nie mehr mit den Wächterinnentöchtern durch das derbe Gras laufen. Wenn sie eines Tages wieder eine Rotmähne ritt, würde es nicht zum Vergnügen sein. Und wenn sie jemals zur Ebene zurückkehrte, würde sie während des Unterrichts nicht schlafen. Sie würde zuhören und zu lernen beginnen.
    Sie erreichten die Berge zwei Tage später, müde und staubig, und verbrachten die Nacht in dem Schlupfwinkel, in dem sie bereits einmal geschlafen hatten. Khira lag wach, als die Monde über den Himmel zogen, horchte auf den Wind in den Felsen, auf Dunkeljunges Atmen im Schlaf, auf das ängstliche Pochen ihres Herzens. Morgen würden sie Zielscheiben flechten und andere Übungsgeräte fertigen. Sie würden Kampfstöcke schneiden. Und sie würden laufen, aber nicht, wie sie vorher gelaufen waren, zum Spaß. Dieses Mal würden sie laufen, um ihre Beine zu kräftigen und ihre Bauchmuskeln zu stärken.
    Khira versuchte sich durch das Aufzählen aller Dinge, die sie im Training tun mußte, von der Angst abzusetzen; all die Dinge, die Alzaja nicht getan hatte, weil sie wußte, es würde nicht ausreichen; all die Vorbereitungen, die Mara nicht getroffen hatte, weil sie sie nicht für nötig gefunden hatte; alles, was Denabar unternommen – und wodurch sie fast den Thron gewonnen hatte.
    Noch war ihre Angst nicht beschwichtigt.
Herz, sei Stein. Fleisch, sei ohne Furcht.
Sie glitt tiefer in ihr Bettzeug und flüsterte lange Verse aus den frühesten Schriftrollen. Ihre Stimme kam krächzend aus der Kehle. Aber das war auch nicht der Weg aus der

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