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Sternenseide-Zyklus 1 - Kind der Dunkelheit

Titel: Sternenseide-Zyklus 1 - Kind der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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Dunkeljunge widerstand der Versuchung, anzuhalten und zu versuchen, die wortlose Verständigung der Tiere zu ergründen.
    Sie erreichten die Gipfel, indem sie abwechselnd ritten und zu Fuß gingen, in den mittleren Abendstunden. Die kahlen Felsspitzen warfen bizarre Schatten über die Ebene, und im Mondlicht kam dem Jungen die mit ihnen verknüpfte Legende glaubhaft vor: daß einmal ein Trupp Züchter gekommen war, um die älteste Rotmähnenstute zu entführen , als sie lehrend am Teich stand, und daß die sieben Züchter und ihre fünf Helfer zu Stein geworden waren, während sie ihr den Strick um den Hals legten. Die schroffen Felsen schienen eine zu Eis gewordene Qual auszudrücken; als wären sie in einem zeitlosen Schrei erstarrt. Im Mondlicht schimmerten Augen, die aus tiefverschatteten Spalten starrten.
    Heute stand eine alte Rotmähne lehrend am Teich, jüngere Rotmähnen hatten sich um sie versammelt. Dunkeljunge folgte Khira widerstrebend; zum ersten Mal fühlte er die Kälte der Sommernacht. Nindra und Zan trieben in silbriger Schweigsamkeit über die Oberfläche des Teiche. Keine Rotmähne rührte sich.
    Horch, meine Herde.
    Dunkeljunge konnte nicht zuhören. In erstickter Panik lief er fort; er schaute nicht einmal zurück.
    Er hielt atemlos inne, als die Gipfel gesichtslose Felsspitzen in der Ferne waren.
Türen –
wenn er seinen Geist leerte, um für die Rotmähnen offen zu sein, sah er Türen. Er wollte an ihnen vorbeigehen, in die Träume, die ihn noch immer in den Nächten beunruhigten. Aber die Türen wurden von Drachen bewacht. Er schüttelte sich und wischte sich den  kalten Schweiß vom Gesicht. Wenn er nur ein Fragment seiner Träume einfangen könnte, einen Fetzen, eine Farbe, ein Gesicht ...
    Khira hatte ihn eingeholt und musterte ihn besorgt. »Ich konnte nicht dort bleiben«, sagte er bebend. »Ich sah ihre Gesichter in den Felsspitzen – die Züchter ...«
    Sie akzeptierte diese Erklärung, und sie rasteten für einige Minuten, dann setzten sie ihre Wanderung fort.
    Als sie sich dem Hain näherten, setzte Khira ihre Schritte mit äußerster Vorsicht fort; sah sich um und lauschte. Ein zerquetschtes Blatt, eine gefallene Feder – sie mußte jetzt auf jedes Zeichen achtgeben. Sie war gekommen, um ihre Geschicklichkeit bei den am schwersten zu fassenden Tieren der Ebene auszuspielen; nicht, um sie zu verzehren, sondern ihren Instinkt und ihre Sinne zu schärfen, indem sie sich an sie heranpirschte.
    Dunkeljunge ließ sie vorangehen und nach den leicht zu übersehenden Zeichen Ausschau halten, die einen Wechsel der Beute anzeigten. Trotzdem war er der erste, der das graue Pelzbüschel sah, was sich im groben Gras nahe der Baumgrenze verfangen hatte. »Khira ...«
    Khira drehte sich um und erkannte schnell die Richtung seines Blicks. »Whisprey.« Ihre Lippen formten stumm die Silben.
    Sie erblickten keine Fellbüschel mehr, aber als sie zwischen den Bäumen hindurchglitten, fanden sie weitere Spuren: schwache Abdrücke kleiner Füße, eine zerrissene Samenhülse, aufgeworfenen Boden, wo das Tier nach Insekten gekratzt hatte. Die Bäume des Hains waren hoch, standen aber weit auseinander. Dunkeljunge und Khira schritten suchend durch ein Gitterwerk, aus Mondlicht und Schatten geflochten.
    Da hielt Khira inne und hob schweigend gebietend die Hand. Dunkeljunge äugte umher. Eine kleine Gestalt hockte am Stamm eines nahen Baumes. Der birnenförmige, mit dünnem Fell bedeckte Körper war weich und fett. Die Füße waren winzig und menschenähnlich, mit rosa Zehennägeln. Sie hatte zwei kleine Arme mit beinahe menschlichen Händen. Aber sie hatte keinen Hals und keinen ausgeprägten Kopf. Statt dessen trug sie nahe der abgerundeten Spitze des Körpers eine Ansammlung winziger ovaler Augen. Als Dunkeljunge das Wesen prüfend ansah, schaute es zurück, verschloß und öffnete die vielen Augen mit schwindelerregender Geschwindigkeit.
    Vorsichtig ließ sich Khira auf den Boden nieder. Sie bewegte den Kopf von einer Seite zur anderen, schloß zuerst ein Auge, dann das andere. Als Reaktion darauf wiegte sich der Whisprey ebenfalls, und die Augen bewegten sich sogar noch schneller als vorher. Als das Tier sich wieder beruhigt hatte, griff Khira nach einem Früchtebrot in ihren Packen.
    Der Whisprey erwog das Angebot heftig augenzwinkernd. Dann rückte er vor, und von den Handflächen seiner mit rosa Fingernägeln ausgestatteten Hände kam murmelndes Flüstern. Das Wesen nahm den Fruchtriegel an, und

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