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Sternenseide-Zyklus 1 - Kind der Dunkelheit

Titel: Sternenseide-Zyklus 1 - Kind der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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Einige der Menschen aus den Hallen glaubten, daß die Mächte Brakraths am Dunkelmorgen zu den Steinhallen kämen und dort den Winter über blieben; Mächte, so alt wie Terlaths schroffe Felsen; Mächte, die sich den Menschen nur zeigten, wenn sie betäubt und hilflos waren.
    Khira zitterte. Andere wiederum sagten, die Winterträume würden durch die Schlafblätter angeregt. Aber wenn die Träume durch die Blätter entstanden, und die Blätter aus dem Erdboden, und der Boden von stummen Mächten bewohnt wurde ...
    Wenn Brakraths Mächte sie in der langen Nacht des Winters fingen und nicht freigeben würden; wenn sie den Schlafstaub nicht aus den Lungen husten und erwachen könnte ...
    Oder wenn sie den ganzen Winter damit verbrachte, in den Träumen von Alzaja gefangen zu sein, wenn sie die Zeit mit ihr teilen mußte, und wieder ihr weißes Hemd erblickte, das den Berg hinauf verschwand, wenn sie die leidenschaftslose Stimme wieder hören müßte –
Ich mache mir Sorgen; ich sorge mich –
endlos, durch all die Träume des Winters ...
    Ungestüm schnappte sich Khira ihr Bündel und schüttete den Inhalt aus: ein wenig Brot, getrocknete Früchte, persönliche Geräte und Werkzeug, pulverisierte Schlafblätter. Sie hielt den Beutel in der Hand, die Finger an den Bändern. Genug des Zögerns, genug der Angst. Alzaja war fort. Khira war nun die Älteste, und sie war Stein, wo Alzaja Fleisch gewesen war. Träume könnten sie nicht verletzen.
    Sie hatte den Beutel geöffnet, roch den modrigen Geruch der Blätter, als sie das Kreischen hörte. Es schreckte sie aus der Stille auf, sie umklammerte den Beutel. Der Wind?
    Schrie der Wind erschreckt, wie ein verletztes Tier? Ohne nachzudenken, rannte Khira zur Tür, schaute die Hangseite hinab.
    Am unteren Ende der Wiese waren zwei miteinander verschlungene Gestalten zu sehen. Sie erkannte sie augenblicklich, mit einem Schock. Eine der Gestalten war der Schneeminx, den sie bereits zuvor in der Nähe des Weges gesehen hatte. Die andere ...
    »Paki!« schrie sie, als könnte ihn allein der Klang seines Namens schützen. Paki war das Fohlen, das an Alzajas letztem Tag geboren worden war – geboren mit einem weißlichen Häutchen, das seine Augen verbarg. Und noch schlimmer, er war in ein Dickicht von Dornensträuchern geraten, fast am Ende der Pflugzeit, und seine Verletzungen hatten sich entzündet. Vor die Wahl gestellt, ein einzelnes Fohlen für den Winter zurückzulassen oder darauf zu warten, daß es kräftig genug würde, die Reise zu den Rotmähnen zu machen, hatte Yvala sich entschlossen, es zu verlassen. Wenn ihre Gruppe für die Vereinigung der Herden in der Ebene zu spät käme, würden die Stuten nächstes Frühjahr keine Fohlen werfen.
    Rotmähnen waren dafür bekannt, daß sie lange Entfernungen ohne Führer, rein instinktiv, hinter sich bringen konnten. Anscheinend hatte dieser Instinkt Paki dazu getrieben, aus dem Winterpferch auszubrechen und sich auf die Suche nach seiner Herde zu machen. Statt dessen war er blind einem Schneeminx entgegengestolpert. Der Minx zerrte mit gierigen Klauen an ihm, versuchte, durch den dicken Winterpelz hindurch das Fleisch aufzureißen.
    Jeder Dreijährige wußte, daß es den raschen Tod durch Krallen bedeutete, wenn man sich bewegte, solange ein Schneeminx in der Nähe war. Doch Khira eilte ohne daran zu denken den Hang hinunter und schrie das Raubtier wütend an. Einmal strauchelte sie und fiel der Länge nach auf den Boden, den Beutel mit den Schlafblättern noch in der Hand. Sie erhob sich rasch und warf sich dem weißhaarigen Minx entgegen, trat mit ihrem gestiefelten Fuß gegen die Flanke des Tieres.
    Der Minx wurde wild, seine rosa Augen blitzten. Für einen Moment schaute Khira in ein fast menschlich erscheinendes Gesicht, nur bewachsen mit seidigem weißen Haar, das in Locken herunterhing. Unwillkürlich fror Khira.
    Schreiend versuchte Paki, sich aus dem Griff des Minx zu winden. Er stolperte fort, betäubt und unsicher, wie er die Füße setzen sollte. Er blutete aus einer Wunde an der Nase.
    »Paki ...« Ihr Schrei versetzte den Minx erneut in Raserei. Mit einem gleitenden Sprung war das Tier über ihr, sein Atem schlug an ihr Ohr. Khira tat einen sinnlosen Schritt nach hinten, warf einen Arm hoch, den Arm, der den Spieß hätte halten sollen.
    Statt dessen hielt sie dort den Beutel mit Schlafblättern. Sinnlos, den Schlaf für einen Winter gegen einen Schneeminx in tödlicher Raserei zu schleudern.
    Sinnlos; dennoch

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