Sternenseide-Zyklus 1 - Kind der Dunkelheit
Zuweilen ist es leicht, eine Frage abzuwenden. Stell dir vor, einer meiner Offizierskollegen und ich beschlössen, Informationen von dir zu erfahren, in deren Besitz wir, wie du wüßtest, nicht gelangen dürften. Wenn wir uns dir getrennt nähern, wem, glaubst du, ist schwerer zu widerstehen – meinem Kollegen oder mir?«
»Dir«, antwortete Khira sofort.
»Ja, weil du und ich einiges gemeinsam haben, was du mit keinem der anderen teilst. Wir haben nicht viel Zeit miteinander verbracht, aber wir haben Brot und Höflichkeit geteilt.«
»Und die anderen sind so kalt wie der Gletscher«, erwiderte Khira gehässig.
»Genau. Oder es scheint dir so. Sie sehen mich als den Außenseiter an; weil meine Wissenschaft subtiler ist, weil ich anders ausgebildet wurde, weil ich aus einem ländlich Gebiet stamme und im Schoß einer Familie großgezogen wurde, während sie in Kindertagesstätten aufwuchsen. Ich leide an einem bedenklichen Mangel an Objektivität. Ich lese selbst in Tabellen und graphische Darstellungen Dinge hinein, die nicht mathematisch oder auf eine andere Art nachgewiesen werden können. Wenn deine Mutter nicht darauf bestanden hätte, daß jeder Arnimi, der hier eintrifft so lange bleibt, bis unsere Auswertung vollständig ist, hätte mich Commander Bullens bereits vorzeitig nach Arnimi zurückgeschickt.
Aber dein Freund hat nie Freundlichkeiten mit mir ausgetauscht. Er blockte meine Fragen mit Leichtigkeit ab, sobald er einmal erkannte, daß ich ihn überlistet hatte – weil er keine Beziehung zu mir hatte. Aber er hat eine tiefe Beziehung zu dir. Wenn du ihn gefragt hast, wenn du ihn ohne, Mitleid gefragt hast ...«
Khira zuckte. »Ja. Das habe ich.«
»Dann hast du ihn in eine extrem belastende Situation gebracht. Einerseits bin ich sicher, daß er dir antworten wollte, weil du seine Freundin bist; andererseits konnte sein Lenkender ihm nicht erlauben zu antworten. Es ist gegen seine Programmierung. Schließlich nahm ihm seine Schulung die Wahl aus der Hand, und er wurde bewußtlos.«
»So werde ich nie etwas über ihn erfahren«, sagte Khira bitter.
»Du wirst genug erfahren, wenn die Barohna zurück kehrt«, deutete Verra an. »Commander Bullens wird ihr weit mehr berichten, als er dir gesagt hat. Und ich habe festgestellt, daß sie dich weniger als ein Kind ansieht, als meint Leute es tun.«
Khiras angespannte Muskeln lockerten sich. Soviel war wahr: Tiahna würde ihr keine Informationen vorenthalte Aber wenn es Informationen wären, die sie zu bedauern hätte ...
Verra beugte sich erneut übers Bett und legte den Handrücken auf Dunkeljunges aschgraues Gesicht. »Er ist wärmer. Laß ihn einige Stunden schlafen. Wenn er dann nicht richtig erwacht, komm wieder zu mir. Aber ich denke, er wird ohne Komplikationen genesen.«
»Und wenn er Behandlung durch deinen medizinischen Offizier benötigt ...«
Verra seufzte. »Dann werde ich versuchen, Torrens zum kommen zu bewegen. Aber ich hoffe, daß es nicht nötig in wird. Und wenn ich jetzt nicht zur Konferenz in die Quartiere zurückgehe, werde ich die nächsten drei Uhr-Tage unter Strafe gestellt werden.«
Ängstlich beobachtete Khira, wie sie aus der Tür ging. Dann eilte sie ihr nach. »Warte!«
»Ja?«
»Sag mir wenigstens – wie lange wird er sich hier aufhalten? Wird er Abschied nehmen, bevor ... bald?«
»Ich weiß es nicht, Erbin. Das kommt anscheinend auf den Vertrag an.«
»Den –Vertrag?«
»Erbin, ich kann dir nicht mehr sagen. Die Information muß durch deine Mutter kommen.«
Und möglicherweise wäre es eine Information, die sie für immer bedauern würde. Khira ließ Verra gehen und ging zurück zu Dunkeljunge; ihr Verstand schwirrte vor Fragen. Woher kam Dunkeljunge? Weshalb war er darauf angewiesen gewesen zu üben, Daten zu speichern? Könnte er von seinem Lenkenden befreit werden, von seinen eingebildeten Brüdern? Khira saß mit hängenden Schultern neben seinem Bett und berührte gelegentlich seine Hand. Egal, wie hehr sie danach verlangte, sie würde ihn nie wieder fragen. Nie.
Dunkeljunge genas langsam von seinem schlafwandlerischen Zustand und lag tagsüber stundenlang da, starrte mit trüben Augen die Wand an, war unansprechbar. Khira wachte besorgt über seine Genesung. Es dauerte zwei Tage, bevor er wieder zu essen begann, drei, bevor er sein Zimmer verließ. Für eine Handvoll Tage sprach er vorsichtig und einsilbig mit Khira, wenn er überhaupt sprach. Und sie war sich bewußt, daß er sie mit stummer
Weitere Kostenlose Bücher