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Sternenseide-Zyklus 1 - Kind der Dunkelheit

Titel: Sternenseide-Zyklus 1 - Kind der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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den Relaislinsen, die auf Terlaths verschneiten Hängen aufgestellt waren, geschmolzen hatte.
    Dunkeljunge, der ihre Stimmung spürte, verhielt sich ruhig, als Khira sich in den Thronsaal zurückzog. Sie stand inmitten seiner großen Leere und blickte hinauf zur gewölbten Decke, den dunklen Spiegeln und dem matten Thron. Der Winter hatte den stillen Palast während der siebzehn Hände von Tagen ihrer Aufsicht unterstellt. Jetzt war der Frühling im Begriff, sie ihr fortzunehmen.
    Sie wandte sich um. Dunkeljunge blickte zu ihr mit einer Intensität, die sie für viele Tage nicht an ihm gesehen hatte. Sie seufzte. Was machte es schon aus, wenn sie sich erweichen ließ, wenn sie die Fragen beantwortete, die sie knapp unter der Oberfläche seiner Selbstkontrolle auftauchen sah? Es gab viele Dinge, die die Schriftrollen nicht erklärten. Wenn ihnen nur noch wenige Tage der Gemeinsamkeit verblieben, warum dann gegeneinander arbeiten?
    »Wir können ihnen vom Turm aus beim Graben zuschauen«, sagte sie, plötzlich begierig darauf, den Spiegeln zu entkommen, die wieder begonnen hatten, Sonnenlicht abzustrahlen, und dem Thron, der es mit seinem dunklen Glühen beantwortete. Sie überließ sich der machtvollen Energie, die die Rückkehr ihrer Mutter signalisierte, lief aus dem Thronsaal und durch hallende Korridore. Dunkeljunge fing ihre Stimmung ein und lief ihr hinterher.
    Drei Tage lang gingen sie zum Turm, um jeden Morgen Ausschau zu halten. Jeden Tag wurde Terlaths schroffer Umriß deutlicher durch die sich auflösenden Nebel des Winters erkennbar. Und jeden Tag erschienen mehr magere Menschen mit Schaufeln und Karren, um die tiefverwehte Plaza freizugraben. Sie arbeiteten in monotonem Takt und bewegten sich unter dem Einfluß der sich nähernden Barohna.
    Anfangs, als Dunkeljunge erkannte, daß Khira wieder dafür empfänglich war, stellte er stockende Fragen - wobei er sehr vorsichtig vorging - und achtete auf ihre Reaktionen. Doch am zweiten Tag nach dem Erscheinen der Diener beobachtete er bereits die Tätigkeit auf der Plaza, als Khira den Turm erreichte. Er wandte sich langsam um. »Khira - warum schaufeln sie den Schnee zurück, wo deine Mutter ihn schmelzen kann, wenn sie kommt?«
    Khira näherte sich widerstrebend dem Fenster. Tiahna war heute näher, und die Kraft spielte unruhig durch Khiras Nervensystem, ließ ihre Finger zucken und die Zehen prickeln. Ihre Stimme klang flach und mühsam beherrscht. »Es ist Brauch bei den Leuten, daß sie sich auf der Plaza versammeln, um sie zu begrüßen, wenn sie eintrifft.«
    Er schien ihre Anspannung nicht zu bemerken. »Hält sie dort nach ihnen Ausschau? Wäre sie wütend, wenn sie nicht kommen und ihre Rückkehr beobachten würden?«
    Khira zuckte mit den Achseln. »Sie sind stets da, wenn sie ankommt.«
    »Aber wenn die Diener sich auflehnten«, forschte er und lauerte gespannt auf ihre Antwort. »Wenn sie sich weigerten, den Schnee fortzuräumen, den sie leicht selbst schmelzen könnte, wenn sie ...«
    Sie runzelte die Stirn, unfähig, Ziel und Absicht seiner Frage zu begreifen. »Sie
wollen
den Schnee schaufeln. Sie möchten sie sehen«, sagte sie scharf. »Wenn die Barohna naht, versammeln sich alle auf der Plaza, und die Familien stellen sich in Form einer Pyramide auf. Sie türmen die leichteren Mitglieder der Familie, die Kinder und kleineren Frauen, auf die Schultern der Männer und kräftigeren Frauen. Jede Familie möchte eben die erste sein, die sie sieht.«
    »Weil sie sie anbeten?«
    Wollte er sie reizen? »Denkst du, meine Mutter ist ein Steinbild, das von Tal zu Tal getragen wird? Sie sind begierig darauf, sie zu sehen, das ist alles. Jeder ist erpicht darauf, sie zu sehen. Sie nimmt den Schnee von den Feldern, und bald werden dort Obst und Feldfrüchte reifen.«
    Sie hielt an sich, versuchte, ihre wachsende Reizbarkeit unter Kontrolle zu halten.
    Er studierte sie aufmerksam. »Khira - es gibt so viele Dinge, nach denen ich dich nicht gefragt habe. In den frühen Schriftrollen steht, daß die Barohnas den Sonnenschein entdeckten, die Menschen sie anbeteten und die Barohnas die Täler beherrschten. Aber in den späteren Schriftrollen ...«
    »Die Menschen wurden zu Leibeigenen, als die Barohnas den Sonnenstein gefunden hatten, ja. Aber das änderte sich vor Jahrhunderten. Jetzt sind die Menschen freie Arbeiter. Und meine Mutter ist einfach Barohna dieses Tales.«
    »Aber sie sitzt auf einem Thron.«
    Khira runzelte die Stirn. Er schien zu versuchen,

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