Sternenseide-Zyklus 1 - Kind der Dunkelheit
wirst gehen.« Würgend, plötzlich schluchzend, stürmte sie an ihm vorbei.
Überrascht lief er ihr nach. Aber als sie ihr Zimmer erreicht hatte, knallte sie die Tür hinter sich zu und ließ ihn hilflos draußen stehen. Zweimal klopfte er. Einmal nahm er den Griff in die Hand. Aber er drehte ihn nicht. Statt dessen zog er sich nach einer Weile zurück, den Laut ihres Schluchzens noch in den Ohren.
Alzaja hatte sie verlassen, und nun nahm sie an, er würde es auch tun. Langsam, besorgt, ging er zu seinem Zimmer. Es schien unverändert so, wie er es am Morgen verlassen hatte, erhellt durch die wuchernden Lichtstreifen der Stempellampen. Kissen waren über sein Bett verstreut, kleine Kunstgegenstände warteten auf der Kommode darauf, daß er sie berührte. Doch heute lag Tiahna auf dem Stein auf der Plaza.
Und was würde in einer Hand von Tagen sein, wenn sie zum Thronsaal käme und den Gong erklingen ließe? Stirnrunzelnd durchmaß Dunkeljunge sein Zimmer. Er hatte keine Angst vor der Aussicht, Tiahna zu treffen. Statt dessen empfand er Vorfreude. Ihr nahe genug zu sein, um die Struktur ihrer dunklen Haut zu studieren, die Hitze der Sonnenstrahlung von ihren Sonnensteinarmbändern zu fühlen, die Macht der Sonne in ihrer Stimme zu hören ... Er war gespannt auf den Moment, da Tiahna zum Thronsaal kommen würde, begierig darauf, zu sehen, wie der Thron ihr Licht einfangen und in ihm brennen würde.
Aber Khira kannte Tiahna, und Khira hatte Angst. Nachdenklich schritt Dunkeljunge über den Steinfußboden. Es dauerte lange, ehe er ins Bett schlüpfte, und noch länger, bis er einschlief. Zwei Bilder erschienen ihm, als er träumte: Tiahna dunkel gegen den glühenden Stein, und Khira, bleich und wie gemeißelt am Fenster. Zum erstenmal fühlte er im Traum etwas, das Angst sein konnte – Angst, daß er Khira verlassen würde trotz all seiner Versprechen –, und er stöhnte im Schlaf.
10 Khira
Am nächsten Tag schien der Palast in einem Vakuum gefangen. Die stengelerleuchteten Flure waren ruhig, selbst die Steine glichen lebendigen Geschöpfen, stumm in Vorahnung. Die Stengel der Lampen belebten sich und tauchten in die frostige Stille hinab. Khira erwachte mit der Erinnerung an rauhe Worte und schlüpfte aus ihrem Bett, um Dunkeljunge zu finden.
Sie fand ihn im Flur, der zur Plaza führte, wo er an den hohen Steintüren am Ende des Flures emporblickte, zum Brennpunkt des konzentrierten Sonnenlichts, das durch den engen Riß zwischen der Türfüllung und dem Flügel strömte. Khira blieb im Schatten stehen, hielt die Luft an und starrte auf Dunkeljunges gespanntes Profil. Sie war sich kaum bewußt, daß sich ihre Hände zusammenballten und die Lippen fest aufeinander preßten.
Er fühlte ihre Augen auf sich ruhen und drehte sich um, sein flüchtiger Blick war argwöhnisch. »Es ist sehr viel heißer heute.« Es schien, als teste er mit diesen Worten ihre Stimmung.
Sie nickte und lockerte unbewußt die angespannten Muskeln. »Wir dürfen bis morgen überhaupt nicht in diesen Teil des Palastes kommen. Wir werden in einem anderen Flügel bleiben müssen, bis sie auf die Felder geht.«
Dunkeljunges Augenbrauen hoben sich. »Und der Tag danach – nachdem sie zu den Feldern gegangen ist?«
»Dann wird es wieder kalt werden. Fast wie im Winter; für drei Tage.« Aber sie gebrauchte die Worte ohne die Nebenbedeutung einer Zeitspanne, die sich ungegliedert in die Zukunft erstreckte. Statt dessen gab es da –
sollte es gegeben haben –
deutliche Vorfreude auf den Frieden der Wärmezeiten. Khira biß sich auf die Lippe und wandte sich ab. Wenn sie nur noch fünf Tage hatten, die sie auch noch durch ihren Ärger verdarb, würde die Erinnerung daran bitter sein. »Und danach wird Frühling sein, und ich werde dir das Tal zeigen«, sagte sie rasch, als könnte sie sich selbst durch die Worte überzeugen. Aber sie war sich bewußt, daß er sie beobachtete und den angespannten Ton in ihrer Stimme gegen das Versprechen ihrer Worte abwog. Und die Mühe, die Tränen zurückzuhalten, schmerzte.
Die nächsten fünf Tage vergingen langsam, als befänden sie sich gewissermaßen in einer zeremoniellen und unumgänglichen Prüfung und wären weder fähig, ihr zu entgehen, noch ihr Ende beschleunigt herbeizuführen. Wann Immer Khira das Anwachsen der Wut in sich fühlte, der Angst, des Gefühls der bevorstehenden schmerzlichen Trennung, dämpfte sie es rasch. Aber sie wußte, daß Dunkeljunge mehr hörte, als sie sagte, mehr
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