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Sternenseide-Zyklus 1 - Kind der Dunkelheit

Titel: Sternenseide-Zyklus 1 - Kind der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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Menschen unter sich auf der Plaza sah. Sie standen stumm, Männer, Frauen und Kinder, und blickten den Berg empor, der jetzt in der Dämmerung lag. Es kostete ihn einen Moment zu begreifen, und dann hüpfte sein Herz. »Deine Mutter kommt!«
    Khira stand wie eine Steinfigur, bleich und wie gemeißelt. »Sie kommt. In der Nacht werden wir ihr Licht sehen.«
    Rasch blickte Dunkeljunge auf den wolkenverschleierten und in Finsternis gehüllten Berg. Khira hatte ihm ihre Mutter in groben Zügen dargestellt, groß, gebräunt, wie sie da Sonnenlicht einfing. Sie würde kommen, an jedem Handgelenk einen Reif aus Sonnenstein, die Armbänder leuchten vom Wintersonnenlicht, das sie auf ihrem Rückweg vom Berg einfingen. »Werden wir lange warten müssen?«
    Er war überrascht, eine Träne von Khiras Wange rollen zu sehen. »Ja«, antwortete sie bitter. »Solange wir auf die Morgendämmerung warten müssen.«
    Dunkeljunge runzelte die Stirn. »Khira ...« Aber etwas in ihrem Gesicht sagte ihm, daß es nicht die Zeit zum Sprechen war.
    Doch selbst der Anblick ihres Kummers mäßigte seine Ungeduld nicht. Er lehnte sich aus dem Fenster, seine Arme ruhten auf dem kalten steinernen Fensterbrett.
    Aus Dämmerung wurde Dunkelheit, für einige Zeit klärte sich der Himmel auf, und die Sterne wurden sichtbar. Dann kamen erneut Wolken auf, die Stunden vergingen. Die ganze Zeit über verhielten sich die Menschen auf der Plaza ruhig, auch Khira bewegte sich nicht. Dunkeljunge schaute mit kaum gezügelter Ungeduld zu, stampfte gelegentlich mit den Füßen auf, um das Leben in sie zurückzurufen, rieb seine Hände warm, die anfingen, in der Kälte gefühllos zu werden.
    Es war kurz vor der Morgendämmerung, als er weit in der Ferne ein undeutliches Glühen bemerkte, kaum erkennbar durch die letzten Nachtnebel. Während er zuschaute, wurde das Licht deutlicher und bewegte sich auf ihn zu, glitt langsam durch das Dunkel. Er holte tief Luft. »Khira - schau!«
    Das Licht zog den unteren Teil des Abhangs hinunter, ein geisterhafter Heiligenschein, das Sonnenlicht des Vortages geworfen gegen das Morgengrauen des heutigen Tages. Von der Barohna war in der schwebenden Lichtwolke nichts zu sehen. Nur die schmerzende Helligkeit im Zentrum des Leuchtens, konturlos dahintreibend. Aber während Dunkeljunge zusah, konnte er sich vorstellen, wie Tiahna über die verstreuten Felsen schritt, dem Palast entgegen, den sie Monate zuvor verlassen hatte.
    Als er sich vom Fenster abwandte, stellte er überrascht fest, daß seine Lippen gefühllos und seine Zunge trocken waren. »Khira, können wir - können wir von hier aus zusehen? Wenn sie zum Palast kommt?« Erwartete Tiahna, daß Khira mit den anderen auf der Plaza wartete?
    Khira senkte die Augenlider, ihr Gesicht schimmerte matt wie Silber. »Wir haben immer von hier aus zugesehen.« Ein Flüstern.
    Dunkeljunge fühlte einen plötzlichen Stich. »Khira - du mußt nicht ängstlich sein. Nicht meinetwegen.« Das war es ja auch gewesen, weshalb sie früher wütend gewesen war, weshalb Tränen auf ihren Wangen erschienen. Sie war ängstlich, daß ihre Mutter auf die Arnimi hören und ihn dem Schnee überantworten würde.
    Sie wandte sich um, das kalte Licht der Morgendämmerung versilberte ihre Tränen. »Wie kannst du so etwas sagen? Wenn Commander Bullens mit ihr spricht, wenn er ihr über dich berichtet ...«
    »Khira ...«
    Sie schüttelte den Kopf, weigerte sich, mit ihm zu reden. »Wenn Commander Bullens mit ihr redet, und sie läßt dich rufen und befragt dich, was kannst du ihr dann sagen?«
    Für einen Moment war er von einer Bitte in ihren Augen gefangen. Für einen Moment wünschte er ihr zu sagen, daß er Antworten für Tiahna finden würde, wenn sie ihn befragte. Aber er verbiß sich die Lüge. »Ich - kann ihr nichts erzählen, Khira.«
    Ihre Augen verzogen sich schmerzlich. »Dunkeljunge ...« Sie ergriff seine Hände und drückte sie. »Dunkeljunge, wenn du ihr nur sagen könntest - wenn du ihr nur die Dinge erzählen könntest, die du mir nicht sagen konntest -, ich habe dich im Turm eingesperrt, aber du wußtest, daß ich zurückkäme. Meine Mutter würde das nicht tun. Wenn sie dich in den Schnee schickt, wird sie dich nicht zurückrufen. Sie – sie hat noch nie jemanden verbannt. Und sie hat noch nie jemanden in Asche verwandelt. Aber sie könnte es. Wenn du ihr nur sagen könntest ...«
    Was? Khiras Angst steckte Dunkeljunge kurz an. Sollte er Tiahna sagen, daß er sich manchmal

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