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Sternenseide-Zyklus 1 - Kind der Dunkelheit

Titel: Sternenseide-Zyklus 1 - Kind der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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Felsleoparden Bescheid. Sie schleppten die Beute lebend zu ihren Höhlen und verschlangen sie Stück für Stück, über viele Hände von Tagen. Manchmal hielten sie teilweise verspeiste Opfer für eine ganze Saison gefangen, errichteten Felsbarrikaden, um sie einzuschließen, während sie auf dem Berghang nach frischen Leckerbissen jagten. Der Lenkende konnte nicht verhindern, daß ihm das Blut aus dem Gesicht wich, konnte die schrille Panik in seiner Stimme nicht verbergen. »Wir können da nicht hineingehen!«
    Khiras Lippen verzogen sich zu einem verächtlich Grinsen. »Wenn sich ein Leopard darin aufhält, wird er schlafen. Alles, was wir tun müssen, ist, an ihm vorbei zu schlüpfen, ohne ihn aufzuwecken – wenn du das schaffst. Du hast an diesem Morgen genug Steine vom Berg getreten, um hundert Leoparden aufzuwecken.«
    Und Dunkeljunge wäre nicht einmal gestolpert. Unbewußt rieb sich der Lenkende die Augen. »Gibt es dort Stengellampen? Im Gang?« erkundigte er sich mit vor Angst brüchiger Stimme. Wenn er wenigstens sehen könnte, auf welches Tier sie trafen ...
    Khiras Lächeln konnte eine gewisse Befriedigung nicht verbergen. »Ein paar Stränge an jedem Ende. Das Hauptstück des Tunnels ist um diese Jahreszeit völlig dunkel.«
    Er wich zurück. Aber jetzt war nicht die Zeit zu zögern, weil ihn ihre Verachtung verletzt hatte.
    Sie wandte sich um und ging den Pfad hinauf, wobei sie ihn durch ihre betont lässige Haltung herausforderte. Angespannt folgte er ihr, Angst sang in seinem Nervensystem. Auf seiner Oberlippe brach der Schweiß aus. Als sie den Gang betraten, versuchte er abzuschätzen, wieviel Zeit er für die Flucht haben würde, wenn sich ein Leopard aus dem Dunkeln erheben und ihn angreifen würde.
    Vielleicht war aber auch kein Leopard im Gang. Sie gruben sich durch Schneeverwehungen in die kalte Dunkelheit, die nach feuchten Steinen und abgestandenem Wasser roch. Der Tunnel war breit genug, so daß zwei Personen nebeneinander gehen konnten, und hoch genug, daß sie sich nicht bücken mußten. Der Boden war von der jahrhundertelangen Benutzung glattgeschliffen. In der Nähe des Tunnel klammerten sich gelegentlich Stengellampen an die Mulde, rankten zum Tunneldach empor und strahlten ein schwaches Licht aus.
    Der Lenkende kroch an der Tunnelwand entlang hinter Khira her, seine Nerven bebten. Lose Felsbrocken lagen verstreut auf dem Boden, und an manchen Stellen lag Tierkot. Er spürte ihn unter den Füßen. Verunsichert tastete der Lenkende zur Beruhigung nach den rauhen Wänden.
    Der Tunnel machte zweimal einen Knick. An jeder Biegung hielt der Lenkende inne und horchte. Jedesmal vernahm er nichts als seinen und Khiras Atem. Jedesmal sah er nichts als eine weitere Strecke eines unbewohnten Ganges vor sich, wenn er hinter Khira um die Krümmung bog.
    Die Nerven des Lenkenden versagten, sobald sie das andere Ende des Tunnels erreichten. Er brach gegen die Felswand zusammen, in seinen Ohren rauschte es, und er atmete schwer.
    Khira hatte bereits damit begonnen, sich in die Schneeverwehung zu graben, die den Ausgang des Tunnels blockiere. Sie wandte sich mit verächtlich aufblitzenden Augen zu ihm. »Nun, was ist? Erwartest du, daß ich die ganze Arbeit mache?«
    Gekränkt und beschämt half er ihr ungeschickt bei ihrer Tätigkeit. Nach einer Weile fiel die letzte Schneewehe, und sie blickten hinab über Mingeles Tal. Es lag tief im Schnee versunken, der verlassene Palast weiß eingeschlossen, der Wachturm blind. Große untätige Schornsteine markierten die Lage der verlassenen Steinhallen. Zuweilen war ein kurzer Abschnitt der Dämme sichtbar, die die Schicht des gefrorenen Weiß durchbrachen, die das tote Tal bedeckte. Die Luft war klar und beißend kalt.
    Und es gab keinen Donner.
    Für einen Moment, als er über das eingeschneite Tal schaute, die unberührte Stille des Berghanges schmeckte, fühlte der Lenkende, wie sich seine Stimmung erheblich besserte. Hier könnte er herumwandern und Fußstapfen hinterlassen, wo niemand zuvor Fußstapfen hinterlassen hatte. Er könnte schreien, und es gäbe kein Ohr, das hörte. Er ...
    Er erstarrte, als das Sonnenlicht den seltsam geschnitzten Stein erfaßte, der an der Spitze des Wachturmes unter ihnen errichtet war. Der Stein war groß, dunkel, leicht durchscheinend, und aus irgendeinem Grund ließ er den Mund des Lenkenden trocken werden.
    »Khira ... da, auf der Spitze des Wachturms ...« Sie tat seine Aufregung gereizt mit einem Schulterzucken ab.

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