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Sternenseide-Zyklus 1 - Kind der Dunkelheit

Titel: Sternenseide-Zyklus 1 - Kind der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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blitzte auf der Schneekruste, die Berg und Tal bedeckte. Überall gab es Anzeichen von Wild. Hohle Schilfrohre stießen durch den Schnee und schufen Atemöffnungen für die Nester der Braunhühner.
    Eine Reihe vereister Löcher markierte die Stelle, wo Häufler In ihren Höhlen schliefen. Schwärme frisch ausgebrüteter Erdläufer quäkten und zerstreuten sich bei ihrem Nahen. Zweimal erschauerte Khira, und der Lenkende erblickte Anzeichen von Schneeminxen im Schnee. Er stand völlig bewegungslos, atmete nicht, erwartete mit gesträubten Haaren die gleitende Annäherung von Terlaths unheimlichstem Raubtier.
    Beidemal gingen sie vorbei, ohne den Minx zu sehen, der die Zeichen hinterlassen hatte.
    Es war Mittag, als sie Mingeles Tal erreichten. Der Lenkende schaute unbehaglich zum Augenstein auf der Spitze des Wachturmes empor. Aber heute schien er nicht zurückzublicken.
    Der Lenkende folgte Khira in dumpfer Traurigkeit durch das Tal. Wäre er Dunkeljunge gewesen, hätte er jede neue Aussicht, jedes neue Geräusch begierig in sich aufgenommen. Er wäre mit Khira durch den Schnee gelaufen, und sie hätten miteinander gelacht.
    Statt dessen gingen sie getrennt, schweigend, bis sie die tiefverwehte Plaza von Mingeles Palast erreichten. Die Luftkamine standen wie riesige Halme rings um den Palast. Der Wachturm warf seinen Schatten über den Schnee.
    Sie schleuderten ihre Packen von sich, und Khira schmiß sich in den Schnee, um Atem zu schöpfen. Der Lenkende besah sich desinteressiert die Umgebung der Plaza. Mingeles Palast war um Jahrhunderte älter als Tiahnas, gebaut zu einer Zeit, als das Klima vorübergehend milder gewesen war und die Feldfrüchte üppig wuchsen. In der Sicherheit reichlicher Ernten hatten die Menschen Zeit gehabt, viel Sorgfalt auf die Gestaltung des Palastes zu verwenden. Türmchen mit Fensteröffnungen wuchsen an seinen vier Ecken hervor und wetteiferten mit dem Wachturm. Geschnitzte Figuren waren in Steinnischen aufgestellt, die in Abständen entlang der Außenwände gehauen waren. Vertraute Figuren wechselten mit Gestalten ab, die die gestrandeten Menschen mitgebracht hatten. Ein Schneeminx stand dort halbgeduckt, die rasiermesserscharfen Krallen erhoben. Ein Mutterschaf aus Stein graste auf einer nichtexistenten Weide. Ein Breeterlik stand aufgerichtet auf den Hinterbeinen, den Bauchschließmuskel geöffnet. Sein Nachbar war das sagenhafte Pferd, das eine frühere Hungersnot aus den Tälern vertrieben hatte. Dann folgte der Cerebfalke, mit ausgebreiteten Flügeln, bereit zum Fliegen, seine einander gegenüberliegenden Köpfe starrten sich an in gefrorenem Zorn.
    Bereit zum Fliegen.
    Den Lenkenden durchfuhr eine Ahnung wie ein flüchtiger Stich, vorübergehend, unerklärlich. Stirnrunzelnd kehrte er dorthin zurück, wo Khira ruhte, und streckte sich im Schnee aus. Als er die Augen schloß, war er sich einen Augenblick lang des heftigen Schmerzes in seinen Muskeln bewußt. Dann übermannte ihn die Müdigkeit, und er schlief ein.
    Er erwachte durch Khiras schrillen Schrei und setzte sich augenblicklich auf. Khira war auf den Knien und starrte angespannt über die Plaza; sie wandte sich ihm wild zu, und zum erstenmal an diesem Tag richtete sie das Wort an ihn. »Dunkeljunge ... hier ist etwas ...
irgend etwas ...
fühlst du es nicht? In der Luft?«
    Bei der offenkundigen Panik in ihrer Stimme sprang der Lenkende auf und hob ohne nachzudenken ihren Spieß auf. Lag in der Luft eine knisternde elektrische Spannung? Beobachtete ihn der Augenstein erneut von seinem hohen Turm aus?
    »Dunkeljunge ...« Khira wandte sich um, entdeckte die Quelle ihrer Angst und starrte empor, ihre Lippen öffneten sich ungläubig.
    »Der Cerebfalke ...«
    Der Lenkende schaute ebenfalls hoch, sein Puls beschleunigte sich. Der Steinfalke bewegte sich langsam, der dominierende Kopf wand sich auf seinem langen Hals. Der Vogel spähte rundherum, dann schwenkte er die Flügel. Jede Bewegung war wohlerwogen, als prüfe der Vogel die Reaktionen eines unvertrauten Körpers. Der dominierende Kopf bog sich zurück, sein Blick glitt mit wütendem Starren über die Plaza, während der untergeordnete Kopf hilflos und bewegungsunfähig verblieb; seine Augen schimmerten entsagungsvoll. Dann schoß der dominierende Kopf abrupt nach vorn, und der Steinvogel stieß einen durchdringenden Schrei aus.
    Khira kämpfte sich auf die Füße und griff sich an die Kehle. »Ich dachte, er sei eine Legende. Ich nahm an, er sei nur eine Geschichte,

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