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Sternenseide-Zyklus 1 - Kind der Dunkelheit

Titel: Sternenseide-Zyklus 1 - Kind der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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Gedanken erraten hätte, indem sie ihr Gesicht erforschte! »Woher weißt du, daß ich ihn zurückhaben will?« schnappte Khira verärgert. »Ich war nach Alzaja für Monate allein und habe es gut überstanden.«
    »Aha. Aber wieso haben diese Monate dann ihre Spuren auf deinem Gesicht hinterlassen, Khira?«
    Unwillkürlich berührte Khira ihr Gesicht. »Du – du siehst dort nichts.«
    »Ich sehe sehr viel«, widersprach Kadura. »Wie alt bist du? Zwölf? Dein Tag liegt eben ein paar Tage zurück, nicht wahr?«
    »Ich habe ihn nicht gefeiert.« Tatsächlich hatte sie ihren Tag bis jetzt ganz vergessen.
    »Auch wenn du ihn nicht gefeiert hast, bist du jetzt zwölf. Aber weißt du, wieviel Jahre ich gelebt habe? Über zweihundert. In dieser Zeit habe ich ein Dutzend Töchter geboren, sie großgezogen und zwei von ihnen verhärten und zehn sterben gesehen. Ich brachte den Vorfrühling in mein Tal, für mehr Jahre, als ich mich erinnern mag. Ich arbeitete mit den Steinen; dem Sonnenstein, dem Augenstein und dem Paarungsstein. Ich nahm eine Steingefährtin, und wir lebten beinahe ein Jahrhundert eine in der anderen Gedanken. Dann, als deine Mutter verhärtete und mein Herz wieder zu Fleisch wurde, lernten Upala und ich eine Zeit der Härte kennen, die keine von uns jemals vergaß. Upalas einzige überlebende Tochter war ein Kind von sechs – Jahre vom Verhärten entfernt –, und mit einem Mal verlor ich die Kraft der Steine; Upala war allein in ihren Gedanken – und verlor ebenfalls die Kraft. Sie rann regelrecht aus ihrem Herzen.
    Sie verließ ihr Tal – sie hatte keine andere Wahl – und kam mit mir. Und wir lebten für Jahre hier, während das Tal, das sie genährt hatte, kalt und öde wurde. Jedes Jahr wurden die Feldfrüchte kleiner, die Menschen weniger. Einige gingen fort, andere starben; alles, wofür sie gelebt hatte, glitt davon. Wir waren zusammen, doch der Schmerz stand jeden Tag zwischen uns.
    Ihre Tochter unterzog sich der Probe zu ihrer ersten Großjährigkeit, als sie dreizehn Jahre alt war, und starb; und so gab es noch mehr Schmerz zwischen uns. Das war elf Jahre, bevor Melora, Tandaras zweite Tochter, die Härte erlangte, um den Thron einzunehmen und die Menschen wieder einzusetzen. Elf Jahre, bevor unsere eigenen guten Jahre beginnen konnten.
    Wundert es dich dann noch, daß ich nach allem, was ich erfahren habe, in deinem Gesicht Dinge lesen kann, von denen du annimmst, daß sie verborgen sind? Ich sah den Verlust, den du erlitten hattest, als Alzaja starb; die Freude, die du fühltest, als dein Freund kam. Und ich sehe die Ängste und den Ärger, die du in der Zwischenzeit mit ihm gehabt hast.«
    Khiras Muskeln zogen sich zusammen. Wie konnte Kadura soviel erkennen, da sie sie doch kaum anzublicken schien? »Was siehst du dann in Dunkeljunges Gesicht? Oder kannst du in ihm nicht lesen?« »Ich kann es, Enkelin.« Kadura blickte auf Dunkeljunge. Er hatte sich von ihnen zurückgezogen und blickte gedankenverloren ins Feuer. »Du siehst ihn für zwei Personen an, und so sieht er sich auch. Aber er ist einer mit gespaltenem Bewußtsein; eine Persönlichkeit, abgespalten von sich selbst. Dieser ›andere‹ ist ebenso wie dein Freund Dunkeljunge selbst in einen Raum seines Lebens eingeschlossen; unfähig, die Türen in die anderen zu finden; in Räume, von denen er weiß, daß sie existieren, weil er Geräusche von jenseits der Wand hört. Es gibt bestimmte Dinge, die ihn annehmen lassen, daß er im Begriff ist, diese Türen zu finden. Meine Schärpe ist eines dieser Dinge. Er nimmt an, daß er mit meiner Schärpe die Türen öffnen kann.
    Aber der Lenkende befürchtet, daß Dunkeljunge, wenn er die Türen öffnet, Dinge dahinter fände, die ihn mehr verletzten, als abgespalten und allein zu sein. Und deshalb hält der Lenkende die Türen noch fester geschlossen, wenn Dunkeljunge nach ihnen greift. Der Lenkende versucht sogar, seine eigenen Gefühle dir gegenüber zu verbergen; aber je mehr er es versucht, desto weniger glückt es ihm.«
    Kadura lächelte, die Linien auf ihrem Gesicht glätteten sich. »Das ist es, was ich in deinem Freund sehe, Khira.«
    »Er hat mit dir gesprochen!« rief Khira ziemlich gereizt aus.
    »Sehr wenig.«
    »Woher weißt du denn das alles?« Wenn er Kadura nichts gesagt hatte, was er ihr verschwiegen hatte, wenn er nicht offen seine Gedanken mitgeteilt hatte ...
    »Vielleicht bist du zu wütend, um mich zu verstehen, Khira. Ich brauche sehr wenige Worte von anderen

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