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Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied

Titel: Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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wünschte sich, den Abschied nicht aufgeschoben zu haben. Denn alles, was sie zu verdrängen versucht hatte, stieg wieder empor, kam an die Oberfläche.
    Ihre Stimme zitterte davon. »Ja. Und sie haben mir auch gesagt, warum die Yarika so verbissen gekämpft haben. Weil sie glauben, der Größere Clan würde sie von ihrem Land vertreiben. Deshalb muß ich gehen. Denn bleibe ich hier.
    Sie hielt inne, holte zitternd Luft. Bestimmt mußte sie nicht mehr sagen. Er wußte bereits so gut wie sie, was geschähe, wenn sie hierbliebe. Ein Gemetzel.
    Seine Pupillen verengten sich. Kleine Muskeln zogen sich zusammen, und seine Gesichtszüge strafften sich. Er sprach mit schneidender Stimme. »Du gehst fort, weil die Yarika, die des öfteren eingeladen wurden, sich dem Größeren Clan anzuschließen, auf ihren alten Bräuchen beharren? Weil sie so aufgeschreckt waren durch die Geschichten, die sie gehört hatten, daß sie unsere Messer dazu benutzten, sich selbst zu töten? Sie hätten sich uns jederzeit anschließen können. Sie hätten sich
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zwischen unseren bauen und die Saaten annehmen können, die wir ihnen angeboten haben. Sie hätten gestern zum Clan-Ruf kommen und den Überfluß mit uns teilen können.«
    Keva zog sich zusammen; sie wollte nicht hören, daß er so hart von den Toten sprach. »Aber sie haben es nicht getan.«
    »Weil sie nicht nach den Gesetzen leben wollten, die hier beherzigt werden. Weil wir nicht stehlen. Weil wir uns nicht untereinander bekämpfen. Weil Frauen nicht gestohlen und Kinder nicht geschlagen werden. Statt dessen wählten sie die alten Bräuche.
    Nicht weil sie schlecht waren. Sondern weil sie schon zu lange nach den alten Bräuchen gelebt hatten, um jemandem außer dem Führer ihres Clans zu vertrauen.
    Und jetzt sind sie mit ihren Clangefährten gestorben getötet durch die alten Sitten. Sie wählten den Zeitpunkt, und sie wählten die Waffen. Und es hat nichts mit du zu tun. Was gestern nacht geschah, war weder dein noch mein Entschluß. Es war der ihre.«
    Ihr Entschluß; aber ein Entschluß, den sie unter anderen Umständen nicht getroffen hätten. Keva starrte auf das Feuerarmband an Daniors Arm und spürte, wie ihr Tränen der Wut aus den Augen flossen. Sie hätte vorige Nacht fortgehen sollen, bevor er die Möglichkeit gehabt hatte, mit ihr zu diskutieren, sie noch mehr zu verwirren.
    Ihr Vater beugte sich über den Tisch und ergriff ihre Hände, drückte sie, bis sie ihm in die Augen schaute. »Erinnerst du dich an deine Mutter?«
    »Ich ... ich glaube ja«, sagte sie und versteifte sich, als er das Thema so abrupt wechselte. »Ich erinnere mich an eine Frau, die vor einem Feuer stand. Und nicht verbrannte. Ich erinnere mich ...« Sie erschauderte, und ihre Stimme wurde härter. »Oki hat mir von den Barohnas erzählt. Von dem, was sie taten, als die Fischerleute noch in den Bergen lebten. Von den Verbrennungen, von ...« Sie hielt inne; die Worte erstarben ihr in der Kehle. Der Zorn, den sie vergangene Nacht verspürt hatte, gegen die Yarika, die Gothnis, die anderen Kleinen Clans - war er von der Art gewesen wie der, den die sich bekriegenden Barohnas gefühlt hatten, wenn sie ihr Feuer freigelassen hatten?
    Sie vertrieben sie - die Kleinen Clans; trieben sie fort, bevor sie die Möglichkeit gehabt hatte, ihren Vater besser kennenzulernen. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten. Sie biß sich auf die Unterlippe.
    »O ja, es gab eine Zeit, da mißbrauchten die Barohnas ihre Kräfte. Aber sie dauerte nicht lange, Keva. Weniger als drei Jahrhunderte. Und darauf folgten dreiundzwanzig Jahrhunderte Frieden. Ich denke nicht, daß du die Handlungen einiger verwirrter Frauen gegen die Hunderter von Frauen aufwiegen kannst, die einzig zum Nutzen ihres Volkes gelebt haben.»
    Verwirrt?
Sie
war verwirrt - und wo immer sie auch nach einer Anwort suchte, fand sie neue Fragen. Keva schüttelte hilflos den Kopf und versuchte, ihm ihre Hände zu entziehen. Er wollte sie nicht freigeben. Noch wollte er ihre Augen freigeben.
    »Du verstehst nicht«, sagte sie. Er verstand nicht die brennende Wut, die sie letzte Nacht gefühlt hatte, die sie heute noch fühlte. Er verstand nicht, wie schwer die toten Yarika und Gothnis sie belasteten. Er verstand nicht, daß diese Toten die Wüste für sie bereits vergiftet hatten. Die Kleinen Clans waren bereit zu töten, weil eine Barohna in die Wüste gekommen war; außerdem wußte sie, daß sie niemals so sein konnte, wie eine Barohna laut Oki sein

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