Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied
mußte. Sie schüttelte wütend den Kopf. »Ich bin nicht, wie eine Barohna sein sollte. Ich bin nicht hart.«
»Hart?« Seine Augenbrauen hoben sich abrupt. »Was meinst du mit – hart?«
»Ich ... was mit den Gothnis passiert ist. Ich kann nicht aufhören, daran zu denken. Ich träumte davon, letzte Nacht, heute morgen. Ich erinnere mich daran, wenn ... wenn ich esse, wenn ich bade. Ich ...«
Ihr Vater preßte ihre Finger und zwang sie dazu, ihm noch einmal in die Augen zu schauen. »Wenn du anders fühltest, würde ich dich nicht unter meinen Leuten haben wollen, Keva. In den Bergen sagen die Menschen, daß eine Barohna aus Stein ist, wo sie lebt. Fels. Aber verstehe das bitte richtig; das heißt nicht, daß eine Barohna sich um nichts Sorgen macht. Oder daß sie kein Gefühl hat. Es heißt, daß sie stark genug ist, gegen ihre eigenen Triebe fest zu bleiben. Stark genug, um ihre Macht niemals leichtsinnig und ohne nachzudenken zu gebrauchen. Eine Barohna muß nur auf diese eine Art hart sein. Sie muß in ihrer Selbstbeherrschung so hart wie ein Fels sein.«
Keva schüttelte eigensinnig den Kopf, während sie sich an Pars Geschichten über die Macht des Sonnensteines erinnerte. »Ich glaube nicht, daß jemand so viel Selbstbeherrschung hat.« Sie bestimmt nicht.
Er zuckte mit den Schultern, gab ihre Hand frei und war für kurze Zeit in sich versunken.
»Keva, hat dir schon jemand erzählt, wie deine Mutter starb?«
»Nein.« Heiser. Niemand hatte es ihr erzählt, sie hatte nie danach gefragt und wollte es auch jetzt nicht hören. Denn darüber diskutierten sie jetzt nicht. Das ...
Doch er ignorierte ihren Widerstand. »Dann ist ,es mein Vorrecht, es dir zu erzählen. Es gibt nicht viele Menschen, denen die ganze Geschichte bekannt ist.
Lihwa war bereits eine Barohna, als ich ihr begegnete. Ein Mädchen von fünfzehn Jahren, das versuchte, die Verantwortung einer Frau zu übernehmen, und das anfing zu bedauern, daß es sie so viele Jahre früher auf sich genommen hatte, als es nötig gewesen wäre. Sie ging früh in die Berge, um sich ihrem Tier zu stellen; genau an dem Tag, da sie ihre erste Volljährigkeit erreicht hatte; und ihre Mutter verlor die Kraft der Steine fast augenblicklich. So hatte Lihwa kaum noch zwei Hände von Tagen, um in die Berge zurückzugehen und sich im Gebrauch ihrer Armbänder zu üben. Dann war es an ihr, das Tal aufrechtzuerhalten, es zu regieren. Es wurde zu ihrer Pflicht, spät im Winter Sonnenlicht anzuziehen und es dann zu verwenden, die Felder für die frühzeitige Aussaat zu schmelzen. Ihre Pflicht, kalte Sommer zu erwärmen. Ihre Pflicht, den Herbstfrost so lange zurückzuhalten, bis die Ernte eingebracht war. Ihre Pflicht, all die Entscheidungen zu treffen, die von einer Barohna erwartet wurden.
Die Verantwortung bedrückte sie schwer. Sie begann sich zu fragen, weshalb sie vorzeitig zu ihrem Tier gegangen war. Weshalb sie sich danach gedrängt hatte, eine Barohna zu werden, wo sie doch noch für Jahre eine Palasttochter hätte sein können.
Ich begegnete ihr im ersten Sommer, in dem sie ihr Tal regierte; im ersten Sommer, den ich auf Brakrath verbrachte. Es war ein warmer Tag. Sie wurde im Tal nicht gebraucht, und so ging sie in die Berge. Ich hatte in der Ebene bei den Wächterinnen gelebt, doch ich zog fort und begann mit meinen Erkundungen; ich versuchte, in dieser mir neuen Welt einen Weg zu finden. Ich war wütend und fühlte mich ein wenig verloren, weil ich zu den Kri-Nostri zurückkehren wollte, und das war unmöglich.
Ich beklagte ein verlorenes Volk, eine verlorene Kultur, Sie beklagte eine verlorene Zeit; die Jugend, die sie so rasch abgelegt hatte. Das schuf rasch ein Band zwischen uns. Wir reisten zwei Tage miteinander, und als sie ins Tal zurückkehrte, begleitete ich sie.
Ich entdeckte bald, daß die Menschen des Marlath-Tals keine Kri-Nostri waren, ebensowenig, wie es die Wächterinnen gewesen waren. Sie waren zwar diszipliniert, aber auf eine ganz andere Art. Sie brauchten keinen Kri-Nostri-Soldaten, und ich war nicht auf das Leben vorbereitet, das sie mir boten. Ich fühlte, daß ich niemand wäre, wenn ich kein Soldat sein konnte. Ich blieb nur wenige Hände von Tagen dort und ging dann fort. Doch das Band mit Lihwa war hergestellt; und so kehrte ich zurück. Ich wurde bald darauf ihr Gemahl – ihr umherziehender Gemahl.
In den Wintern, wenn Lihwa zu ihrem Winterpalast auf dem Gipfel ging, verbrachte ich nur einige der kalten Tage bei ihr. Die
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