Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied
Er preßte die Schläfen und wünschte sich, er könnte lernen, den Paarungsstein zu benutzen, ohne daß eine Beziehung mit dem Träger des anderen Steines entstünde. Er wünschte sich, er könnte kühl und gleichgültig in den Verstand eines anderen eintreten und unberührt daraus hervorkommen. Er runzelte die Stirn, ein neuer Gedanke fiel ihm ein. »Möchtest du, daß ich morgen hierbleibe? Wenn Keva in die Wüste geht?«
»Wenn sie zum
tarnitse
geht?« Jhaviir stand auf und wischte sich die Hände an den Kleidern ab. Nachdenklich ging er durch die Reihe der Setzlinge. Schließlich schüttelte er den Kopf. »Nein. Du reist in Richtung Süden; alle Angriffe, die in den nächsten beiden Tagen unternommen werden,
erfolgen aus nördlicher oder östlicher Richtung. Deshalb wirst du dich nicht in unmittelbarer Gefahr befinden. Ich
möchte dich bitten, das
tarnitse
von Zeit zu Zeit zu unterbrechen, um durch den Stein Verbindung aufzunehmen. Wenn es dringende Neuigkeiten sind, die du siehst, sende bitte sofort Tedni mit einer Nachricht hierher. Und folge ihm dann mit Keva und Tinata nach.«
»Tinata?«
Jhaviir zuckte mit den Schultern. »Tinata hat ihr Messer Keva verpfändet. «
Ja, und Danior hatte gesehen, mit welcher Begeisterung Tinatas Schutz akzeptiert worden war. »Weiß Keva, daß sie mitkommt?«
»Wahrscheinlich ahnt sie es. Und du - hast du gegessen? Nein? Und du hast auch noch keine Möglichkeit gehabt, dir
Pan-Vi genauer anzuschauen. Du wirst die Schmelzöfen
und die speziell eingerichteten Pflanzenschulen sehen wollen, wo wir die Saaten mischen. Suche Tedni und sage ihm,
daß es jetzt an der Zeit wäre, dich herumzuführen. Denn selbst wenn du Brakrath niemals verlassen wirst, wirst du ein Stück von einer anderen Welt gesehen haben. Ein Stück Kri-Nostri-Kultur.«
Ein Stück Kri-Nostri-Kultur, umgeben von Sand, Wind und feindlichen Clansmännern. Doch die Kri-Nostri-Kultur hatte sich ja tatsächlich genau an einem solchen Ort entwickelt. Danior berührte den Stein, und einen Moment lang lief er mit Garrid über das rauhe Land; er hatte es eilig, seine Leute zu erreichen. Während er lief, wuchs der Wurm der Angst in Garrids Magen. Danior ließ den Stein los und spürte, daß derselbe Wurm auch in seinem eigenen Magen wuchs. Doch er war nicht um seine Sicherheit besorgt, sondern um die Garrids. Und es gab nichts, was er tun konnte, Wenn er nur den Stein dazu benutzen könnte, eine Bitte an Garrid zu richten, ihn zur Siedlung des Größeren Clans zurückzurufen ...
Er fragte sich kurz, ob er wohl in der Lage wäre, Garrid in seiner eigenen Sprache anzusprechen, wenn sie sich gegenüberstünden. Konnte man den Paarungsstein auch dazu benutzen, Garrids Sinn für die Fon-Delar-Sprache anzuzapfen und so zu erfahren, wie sich einzelne Worte und Redewendungen in seiner Kehle anfühlten, auf seiner Zunge; um zu erfahren, welche Bilder die Laute begleiten? Wenn er sich die Fon-Delar-Sprache beibringen könnte, einfach nur, indem er den Paarungsstein abhörte?
Aufgewühlt machte er sich auf die Suche nach Tedni, der sehr beflissen war, ihm zu zeigen, wie man den Wüstensand mit sämtlichen Verunreinigungen im Schmelzofen in vielfarbiges Glas verwandelte. Später sah Danior die Karren, die dazu verwendet wurden, Feuerkohlen von den Brüchen weit im Westen zu transportieren. Er sah die besonderen Pflanzenzuchtstätten, wo gewöhnliche Wüstenpflanzen aussortiert und gezogen wurden, um geeignete Saaten für die Kultivierung zu gewinnen. Tedni kam seinen Führerpflichten so enthusiastisch nach, daß er kaum bemerkte, wie geistesabwesend Danior war.
Den ganzen Tag lang berührte Danior immer wieder den Paarungsstein, suchte in Garrids Gedächtnis nach Spuren der gesprochenen Fon-Delar-Sprache und sprach die Worte und Redewendungen nach, die er dort entdeckte. Er umklammerte den Stein und machte Garrids Träume zu seinen.
Am nächsten Morgen, als Tedni ihn kurz nach Sonnenaufgang weckte, berührte er den Stein erneut. Garrid bewegte sich weiter nach Süden, er lief; aus dem Wurm in seinem Magen war jetzt nach der Neuigkeit, die er von dem Botschafter gehört hatte, den er bei Tagesanbruch getroffen hatte, eine sich windende Schlange geworden. Eine Barohna hielt sich in den Harten Ländern auf; sie wohnte in dem Glaslager, auf das er gestern hinuntergeschaut hatte. Eine Barohna, Feuerkriegerin aus den Bergen. Seine paar Schafe - er stellte sie sich als einen Haufen feuergeschwärzter Knochen vor; das Entsetzen
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