Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied
übel wurde.
Und fortgehen? Jhaviir, Tedni und all die anderen im Stich lassen, sie ihre Kämpfe ohne seine Hilfe kämpfen lassen? Kämpfe, die durch die Tatsache, daß er und Keva nicht mehr da waren, noch grimmiger werden würden. Konnte er das tun?
Wenn es nur eine andere Möglichkeit gäbe, einen dritten Weg. Aber er fand keine.
Später erinnerte er sich daran, versprochen zu haben, daß er Garrids Gedanken überwachen würde. Begierig, die monotone Gedankenkette zu durchbrechen, ergriff er den Paarungsstein und reichte hinaus. Im selben Augenblick veränderte sich der Schmerz in seinem Bein, wurde grausamer.
Garrid war so schnell gelaufen, und seine Waden waren so verkrampft, daß er dachte, jeden Moment aufschreien zu müssen. Und als er ins Lager hinkte, stellte er fest, daß die Tortur gar nicht nötig gewesen wäre. Er nahm zur Kenntnis, daß die Neuigkeit von der Barohna bereits eingetroffen war. Die unterdrückte Hysterie, die zwischen den Zelten hing, sagte es ihm. Männer stolzierten mit finsteren Gesichtern umher und trafen eilige Vorbereitungen, tasteten nach ihren Messern; die Gedanken an ausgehungerte Schafe und zerrissene Zelte standen ihnen deutlich im Gesicht geschrieben. Die Frauen sammelten den Besitz und die Vorräte zusammen und packten für die Flucht. Kinder schauten mit tiefliegenden Augen zu, mehr durch die Angst der Erwachsenen erschreckt als durch das, was sie über die Barohna hörten.
Garrid lief durchs Lager, er suchte seinen Onkel, doch niemand konnte ihm sagen, wo Kanir hingegangen war. Es waren Botschafter gekommen, gefolgt von Giddon und Sonkar von den Tyunas, die mit erhobenen Händen ins Lager kamen. Später waren Delegationen von den Paznikis und Ternar Vlans eingetroffen. Alle hatten ihren Stolz überwunden; die Führer miteinander rivalisierender Clans verschworen sich, als wären sie schon lange miteinander verbündet. Weil – wußte er es schon? – eine Barohna die Yarika verbrannt hatte. Sie hatte ihre versengten Knochen in einem Ring aus geschmolzenem Sand liegen lassen. Fortina und Simar – und noch andere aus dem Lager – hatten gesehen, wie die Monde sich verfinstert hatten, während sie ihr Werk vollbrachte. Sie waren aufgewacht, weil es plötzlich so dunkel geworden war, und hatten sofort erkannt, daß das Unheil über ihnen allen lag.
Unheil: Eine Barohna unterstützte den Größeren Clan. Eine Barohna, die in die Wüste gekommen war, um sie immer tiefer in die Harten Länder zu treiben, wo es kein Futter gab, nur alkalische Flöze und die Todesschädel von Raubtieren, die sich verirrt hatten. Garrid hörte sich die Geschichten an, und bevor er noch Pelars Zelt erreicht hatte, glaubte er beinah, er hätte die verbrannten Yarika mit eigenen Augen gesehen, statt Männer, die durch Messer oder Speer getötet worden waren. Glaubte beinah, anstelle der Glashäuser, die friedlich in der Mittagssonne brüteten, einen Ring aus geschmolzenem Sand gesehen zu haben.
Als der Vorrat an Geschichten zur Neige gegangen war, begab sich Garrid in Pelars Zelt, um sich den gröbsten Schmutz abzuwaschen und saubere Sachen anzuziehen. Doch statt dessen legte er sich für einen Augenblick hin und schlief sofort ein, vergaß das Chaos, das im Lager herrschte, und den Schmerz in seinen gepeinigten Muskeln.
Danior seufzte und schlüpfte aus Garrids Verstand. Dort gab es bestimmt keine Antworten. Er streckte seine Beine, suchte nach einer bequemeren Stellung und versuchte erneut, die Stimme des Wassers zu hören.
Nichts. Nur wirre Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Eindrücke von Orten und Menschen, die er noch nie gesehen hatte. Garrids Angst. Seine Angst. Unbewußt formte er Worte in Garrids Clansprache und fragte sich, ob ein Fon-Delar sie verstehen würde.
Der Nachmittag verstrich, und das Licht in der
tarnitse-
Hütte verblaßte mit der Sonne. Keva wurde vom Schatten verschluckt, den Kopf gebeugt, die Augenlider geschlossen. Danior blickte nervös auf ihre zusammengekniffenen Lider und den angespannten Kiefer und dachte, daß sie ebensogut in einem anderen Land hätte sein können, denn er konnte über ihre Gedanken nur Vermutungen anstellen. Was hörte sie im Wasser? Fand sie dort Antworten? Oder war sie nur hungrig und steif, so wie er? Er grübelte noch eine Weile darüber nach; fühlte sich leer und ausgeschlossen, vertrieben.
Mit dem Stein in ihre Gedanken einzutreten, schien ihm wie ein Angriff, doch eine Weile später tat er es trotzdem.
Ein trockener Hals,
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