Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied
begegnete seinem gequälten Blick mit kühler Verwunderung. Nach all dem, was er und ihr Vater ihr gesagt hatten, nach all den Zusicherungen, die sie ihr gegeben hatten,
nahm er jetzt an, daß sie das Armband nähme, um die Fon-Delars damit zu verbrennen? Noch vor seinem Versuch,
mit ihnen zu reden? Sie runzelte die Stirn, müde und geduldig. »Hast du, hat mein Vater mich belogen? In allem, was ihr mir über die Barohnas erzählt habt?«
Er schüttelte benommen den Kopf. »Nein.«
»Dann möchte ich das Armband.«
Er schüttelte noch einmal den Kopf, wollte einen Einwand machen, doch welches Argument er auch immer vorzubringen beabsichtigte, er sprach es nicht aus. Sie fragte sich
flüchtig, was es wohl sein mochte, obwohl sie es im stillen bereits ablehnte. Sie streckte ihre Hand aus und machte ihm dadurch klar, daß sie sich nicht abweisen ließ. Danior fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und zog dann mit Fingern, die plötzlich steif geworden zu sein schienen, das Armband von seinem Handgelenk.
Es glitt über Kevas Hand und nahm den Platz an ihrem Gelenk mit einer fast sinnlichen Kühle ein. Keva berührte die geschliffene Oberfläche mit den Fingerspitzen, und es nahm ihr fast den Atem, als es sich zu erwärmen begann. Innerhalb weniger Minuten speicherte das Steinarmband Feuer. Sie hielt ihren Arm ausgestreckt, von der Helligkeit des Sonnenlichts gebannt, das im Stein gefangen war. Wenn sie lange genug in den leuchtenden Stein blicken würde, so wurde ihr klar, würde sie einen günstigen Ausgangspunkt gewinnen, von dem aus sie auf ihr Leben und auf die Leben all der Frauen, die ihr vorangegangen waren, zurückschauen konnte.
»Es – es nimmt das Licht von selbst auf«, sagte Danior. »Du brauchst nichts anderes zu tun, als es zu tragen – dann speichert es die Sonne. Obgleich du es, wenn du willst, dazu bringen kannst, die Energie stärker anzuziehen. Doch um die Energie auszusenden ...«
»Ja.« Seine Stimme schien aus der Ferne zu kommen. Sie sah in den glühenden Stein und sah die Welt in gebrochenen Bildern; so als blicke sie in viele verschiedene Welten auf einmal. Die Welt ihrer Mutter, ihrer Großmutter, ihrer Urgroßmutter; der ersten Barohna, die jemals das Sonnenfeuer angezogen hatte. Sie fragte sich, wie diese Frauen gewesen sein, was sie am ersten Tag, an dem sie die Sonne eingezogen hatten, gefühlt haben mochten.
»Du mußt lernen, das Licht auszusenden, ohne jemand zu verbrennen. Du mußt üben. Du ...«
Etwas in seinem Ton, eine leichte Erschütterung, nahm kurz ihre Aufmerksamkeit gefangen. Sie nickte, während sie sich an das erinnerte, was ihr Vater gesagt hatte. Daß ihre Mutter kaum zwei Hände von Tagen Zeit gehabt hatte, um in die Berge zu gehen und sich dort im Gebrauch der Armbänder zu üben, bevor sie den Thron von ihrer Mutter übernahm.
Sie hatte keine Zeit, in die Berge zu gehen. Nicht jetzt. Leckte sich Danior deshalb noch immer die Lippen, war sein Gesicht deshalb so aschgrau? Hatte er Angst davor, daß sie den Sonnenstein unvorsichtig benutzte?
Es war keine grundlose Angst, denn sie hatte niemanden, der ihr sagen konnte, wie man auf die Sonne achtgab.
Eine unbehagliche Zeit verstrich zwischen ihnen. Danior legte die Stirn in Falten, biß sich auf die Lippe; sie streichelte mit den Fingerspitzen geistesabwesend den Armreif. Schließlich sagte Danior: »Wir gehen besser weiter.«
Seine Stimme klang schrill, es war ihm nicht gelungen, den Schreck zu unterdrücken.
Sie wanderten weiter. Einmal machten sie an einer winzigen Quelle halt und tranken ein wenig Wasser. Danior berührte oft nachdenklich den Gedanken-Stein und murmelte etwas in einer Sprache vor sich hin, von der Keva annahm, daß es Fon-Delar war. Sie fragte sich, ob Danior wußte, was er sagte, oder ob er nur etwas wiederholte, was Garrid gesagt hatte.
Die Sonne löste sich vom Horizont, stieg höher, wurde rund und rosiggolden. Sie gingen schneller, und Kevas Nackenhaar stellte sich auf. Sie packte Daniors Arm und hielt ihn an. Der westliche Horizont war nicht länger eine feste, dunkle Linie, die den Himmel von der Erde trennte. Statt dessen bewegte sie sich wie in einer Serie von Krämpfen. »Die Fon-Delars«, sagte sie, während sie zum Horizont deutete.
Danior versteifte sich und umklammerte den Stein. Einen Augenblick später ließ er ihn wieder los. »Ja. Keva ...«
»Ja?« fragte sie – doch es war gar nicht nötig. Sie wußte bereits, um was er sie bitten wollte.
»Benutz das Armband
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