Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied
mich leuchtet?«
»Ich kann es nicht.«
»Ihr – Ihr könnt mir gar nichts sagen«, stellte Danior fest; er schwankte zwischen Erleichterung und Enttäuschung. »Meine Mutter hat Euch rufen lassen, damit Ihr mir sagt, was ich tun muß, und Ihr könnt es nicht.«
»Aber ich habe dir etwas gesagt, das viel wichtiger ist.«
Daniors Schultern versteiften sich vor Unmut. Etwas Wichtigeres als das, was er tun und wohin er seinen Fuß setzen mußte? »Ihr habt mir überhaupt nichts gesagt.«
»Habe ich nicht, Danior Terlath? Ich habe dir gesagt, daß sich viele von uns mit der wichtigen Aufgabe befassen zu leben, ohne je Antworten zu bekommen. Wir bewegen uns nur durch Fragen fort – folgen ihnen Schritt für Schritt – und lernen aus dem, was wir tun. Lernen die Natur unserer Welt kennen und zugleich unsere eigene Natur; wir erfahren, wie beide aufeinander einwirken, um uns nach vorne zu tragen.« Zum erstenmal lächelte der Meister. »Gewöhnlich ist das erste, was wir lernen, daß wir unwissender sind, als wir es jemals für möglich gehalten hätten. Aber wir müssen darüber hinaus streben, wenn wir nicht nur stillstehen wollen.«
Danior versteifte sich instinktiv. Er begriff, was der Edelsteinmeister ihm zu verstehen geben wollte. Daß er den Stein benutzen sollte, auch ohne ihn zu begreifen. Daß er Licht aus ihm locken sollte, ohne zu wissen, wohin das Licht führen würde.
»Nein, das werde ich nicht tun«, sagte er. »Wenn ich es nicht begreife, wenn mir niemand sagen kann ...«
»Wenn Lensar es abgelehnt hätte, den ersten Sonnenstein zu schneiden, bis er wußte, daß er nicht verletzt würde, dann gäbe es keine Barohnas in unseren Tälern, Danior Terlath. Wenn Niabe damit gewartet hätte, den Stein zu benutzen, bis sie sich der Kontrolle über ihn sicher war, würde sie ihn überhaupt nicht benutzt haben.«
»Aber ich bin keine Barohna. Ich bin doch nicht einmal eine Tochter. Ich ...«
»Niabe war weder eine Barohna noch eine Palasttochter. Zu ihrer Zeit gab es noch keine Paläste, und die Menschen hungerten, weil es niemanden gab, der Sonnenlicht ins Tal brachte.«
»Nein.«
Das klang fast panisch.
Achselzuckend griff der Edelsteinmeister nach Daniors Hand und bog seine verkrampften Finger auseinander. Er ließ den Paarungsstein in Daniors Hand fallen und hinderte ihn am Rückzug. Ein schwach reflektiertes Licht wuchs in seinen Augen.
Danior schaute auf den Stein, sein Herz hämmerte gegen die Rippen wie eine umhüllte Sturmglocke. Das Licht des Steines, seine Hitze – beides war jetzt intensiver, als es noch vor wenigen Minuten gewesen war.
Die Worte des Meisters schienen aus der Ferne zu kommen, sie klangen wie eine Verkündigung. »Als dein Vater und seine Brüder hier ankamen, sagte mein Meister, daß unser Tal nie mehr dasselbe sein würde. Daß wir Zeugen von Dingen werden würden, die wir nie zuvor gesehen hatten, und daß Kinder geboren würden, die dafür sorgten, daß sie geschähen. Du bist eines von diesen Kindern, und dies ist eines der Dinge – ein Stein, der für jemanden lebendig wird, der keine Barohna ist.«
Dinge, nie zuvor gesehen.
Daniors Handfläche brannte. Er schloß die Finger um den Stein und versuchte, seine heftige Furcht hinter der Wut zu verstecken – aber ohne Erfolg. »Ich kann ihn nicht benutzen! Ich weiß nicht wie!«
»Wärest du eine Barohna, würdest du ihn an einer Kette am Hals tragen. Du würdest ihn viele Male am Tag berühren, bis du völlig auf ihn eingestimmt wärst. Du würdest deinen Weg in ihm spüren, würdest mit den Fingerspitzen lernen, mit dem Fleisch an deinem Hals, wie du ihn benutzen mußt.
Versteh mich recht: der Stein ist kein Zaubergerät. Er ist ein Werkzeug, aber eines, daß nur wenige Menschen zu nutzen imstande sind. Und diese Menschen lernen es zu gebrauchen, indem sie den Gebrauch praktizieren. Genau wie ich gelernt habe, Spitzhacken und Klingen zu benutzen, indem ich in die Berge ging.«
Der Stein brannte in Daniors Hand. Er schüttelte verwirrt den Kopf. Er wollte den Stein zu Boden werfen. Er wollte protestieren, sich empören. Aber gegen wen? Er war derjenige, der bewirkte, daß der Stein leuchtete.
»Ich habe eine Kette«, sagte der Edelsteinmeister.
Ein Kette, um einen Paarungsstein daranzuhängen. Eine Kette, die ihn gegen das zarte Fleisch seines Halses hielt. Daniors Kiefer verkrampften sich. »Ihr habt sie bei Euch?« Ein Flüstern.
»Ja.«
Aber der Meister bemühte sich nicht zu seiner Tasche oder seinem
Weitere Kostenlose Bücher