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Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied

Titel: Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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Beutel. Er würde es nicht eher tun, bis ihn Danior höflich darum bäte. Danior schloß die Augen und versuchte, seine Gedanken zu klären. Den Stein tragen, ohne Antworten auf seine Fragen zu haben? Ohne zu wissen, wohin das Wunder führen mochte? Störrisch ballte er die Hände an den Seiten. Doch seine Zunge handelte gegen seinen Wunsch. »Ich möchte die Kette haben.«
    »Natürlich.« Der Edelsteinmeister griff in seinen Beutel und holte eine dünne Metallkette hervor. Er legte sie Danior in die Hand und schaute beinahe, als bereite ihm dessen Qual Vergnügen. Dann drehte er sich um und schritt auf die Plazatüren zu.
    Er verließ ihn, begriff Danior, ohne etwas klargestellt zu haben.
»Nein!«
Erschrocken lief er ihm hinterher. »Wartet! Ihr ...«
    Der Meister wandte sich lächelnd um. »Keine Angst. Ich werde erfahren, was du mit dem Stein anstellst, Danior Terlath. Ich werde erfahren, wohin er dich führt. Es wird schon bald, nachdem es geschieht, eine Legende in den Bergen sein.«
    Eine Legende. Hin und her gerissen blieb Danior stehen. Er hatte sich gewünscht, eine Legende zu sein. Er hatte sich gewünscht, geheimnisvolle Dinge zu tun. Doch jetzt sahen sie furchterregend aus. Er entdeckte, daß er darüber nachdachte, statt dessen einen Weg zu finden, darüber, seinen Weg zu machen, zu einem Ziel, das er nicht benennen konnte.
    »Ihr habt mir nicht einmal gesagt, warum Ihr mich hier anstatt im Tal meiner Mutter treffen wolltet«, sagte er verzweifelt. Solange der Meister noch da war, war er nicht mit dem Stein allein.
    »Ach so. Weil die besiedelten Täler voller Wolken sind, wenn sich die warme Luft von den Feldern erhebt. Hier kann ich die Sterne sehen. Hast du nach ihnen gesehen? Sie sind wie Steine am Himmel – Edelsteine, geschliffen von einer Hand, die nie jemand erblickt hat. Eines Nachts, wenn der Himmel klar ist, werde ich gehen, um hinauszugreifen und mir einen zu nehmen.« Er hob die Hand zum Gruß und schritt durch die großen Türen zur Plaza.
    Danior war wie erstarrt, als der Edelsteinmeister die Plaza überquerte und über die verlassenen Avenuen verschwand. Nach einer Weile drehte er sich um und blickte den von Stengellampen erleuchteten Flur hinunter. Hier gab es für ihn nichts weiter als das grelle Licht. Seine Kehle war wie zugeschnürt; er lief auf die Plaza hinaus. Vielleicht hatte der Meister vor, heute im Tal zu übernachten. Vielleicht hatte er bereits sein Lager in einer der verlassenen Steinhallen ausgebreitet. Vielleicht ...
    Danior lief dem Edelsteinmeister nach bis an den Rand der Plaza. Dort hielt er zornig inne. Er war kein Kind mehr, das sich fürchtete, allein zu schlafen.
    Er fürchtete sich nicht davor, nachts über die Bergpfade zu marschieren, obgleich er nur einen Spieß bei sich trug, so sagte er sich.
    Oder vielleicht machte es ihm nur weniger aus, heute nacht ins Tal seiner Mutter zurückzukehren, als hier mit seinen vielen Gedanken zu verweilen. Er blickte auf die Kette, die der Meister ihm gegeben hatte. Dann steckte er sie zusammen mit dem Stein in die Tasche und lief über die Steinavenuen den Bergen entgegen.
    Er wanderte so lange, bis er das Stengellicht im Palast nicht mehr schimmern sah, wenn er zurückschaute. Dann setzte er sich, lehnte den Rücken gegen einen schützenden Felsbrocken und ließ die Augen zufallen. Die Beine schmerzten, die Füße taten weh, und sein Geist war plötzlich genauso angeschlagen wie sein Körper. Und noch immer brannten die unbeantworteten Fragen in ihm. Das Labyrinth war offen und dehnte sich aus, es verwirrte ihn. Würde er, wenn er den Stein trug, in die Gedanken von jemandem eintreten? Würde er sich damit kritischen Augen entblößen, spöttischen Augen, verächtlichen Augen? Und wenn niemand mehr den zweiten Stein im Besitz hatte, wenn er vor langer Zeit abgelegt worden war, wohin würde das Licht seines Steines ihn führen? Tapfer folgte er verschlungenen Pfaden, bis seine Gedanken ihn ermüdeten und er gegen den Fels geschmiegt einschlief.
    Er erwachte und erblickte den Himmel über sich strahlend von Sternen und spürte die Kälte des Berges. Er saß dort zitternd eine lange Zeit, dachte an Legenden, Wege, und Dinge, die sich nie zuvor ereignet hatten.
    Seine Finger fühlten sich zerbrechlich an, als er den Paarungsstein aus der Tasche zog und die Kette durch die Öse in der Metalleinfassung fädelte. Er fühlte die Wärme des Steines in der Hand. Seine Möglichkeiten lagen klar auf der Hand. Trag den Stein, oder

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