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Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied

Titel: Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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Danior schaute noch einmal zum Thron, dann ging er den Flur hinab, um den Versuchungen zu entgehen.
    Vorsichtig erforschte er den Palast und entdeckte Wände, die von Stengellampen wie mit Matten behangen waren, Flure, in denen ihn die leuchtenden Ausläufer blendeten, und er bekam den Geruch von Moder und Nahrungsmitteln mit, die in offenen Gefäßen verdarben. Aber es gab keine offenen Gefäße.
    Im Palast gab es nichts als Staub, Lampen und den Kot kleiner Tiere. Die Menschen hatten alles mitgenommen, selbst die Läden vor den Fenstern. Nur eine Zimmerflucht war noch möbliert, und dort trat Danior nicht ein. Mit angehaltenem Atem spähte er vom Flur aus hinein. Staubbedeckte Kommoden, verschossene Bettdecken, Schriftrollen, die noch genau dort lagen, wo man sie vor vielen Jahren fallengelassen hatte; Danior zog sich zurück, es gefiel ihm nicht, in eine Wohnung einzudringen, die einst Lihwa und Jhaviir miteinander geteilt hatten.
    Bald ging der Nachmittag hinter den ungesicherten Fenstern zur Neige, und die Unwirtlichkeit des verlassenen Palastes trieb Danior zum Turm, von wo aus er nach dem Edelsteinmeister Ausschau hielt. Er lehnte sich an das feuchte Mauerwerk und versuchte, nicht an den Paarungsstein zu denken, den er im Beutel trug, versuchte, sich nicht mit den nicht zu beantwortenden Fragen herumzuquälen, die er heraufbeschwor. Ein Weg, eine Legende, ein Platz – wie konnte er etwas davon der Verwirrung und Furcht entreißen? Setze einen Fuß vor den anderen, hatte sein Vater gesagt. Aber wohin den ersten Schritt machen?
    Kurz nach Sonnenuntergang erschien eine Gestalt in Lederzeug und Stiefeln am Rande der Plaza. Danior beobachtete sie und war davon überzeugt, daß der Mann, der die Fliesenwege überquerte, nicht der Edelsteinmeister sein könnte. Ein Edelsteinmeister mußte ein Mann von außergewöhnlicher Größe und einer ebensolchen Erscheinung sein, ein Riese. Ein Edelsteinmeister mußte so groß sein wie die Berge, die er erkundete, so beeindruckend wie die Kräfte, denen er zum Leben verhalf, wenn er die Steine, die er brach, schnitt und schliff. Der Mann dort unten sah gewöhnlich aus.
    Er sah in seinem abgenutzten Lederzeug in der Tat so normal aus, daß er ein Arbeiter hätte sein können, der von den Feldern heimkehrte, oder ein Hirte, der soeben seine Herde für die Nacht untergebracht hatte. Danior schaute ihm zu, bis er durch die Türen verschwand, die sich unter ihm befanden. Dann stieg er hinunter, um ihn zu treffen –der Paarungsstein lag schwer in seiner Tasche; die zunehmende Erwartung, enttäuscht zu werden, lastete schwer auf seiner Brust.
    Der Edelsteinmeister stand im Thronsaal und blickte zu den staubbedeckten Spiegeln empor, ein untersetzter Mann mit blondem Haar und einem sonnengegerbten Gesicht. Unter seiner Ledertunika trug er die grobgesponnene Kleidung der Hallenbewohner. Als er sich umdrehte, waren seine Augen das einzig Bemerkenswerte an ihm. Sie waren von einem intensiven Blau, so als hätte er zu lange in den Sommerhimmel geschaut und einen Teil davon eingefangen, so blau, daß es weh tat, als er Daniors Blick zurückgab.
    Er war überhaupt nicht gewöhnlich. Das erkannte Danior, als er versuchte, ihn zu begrüßen, und sein Atem kraftlos in der Kehle krächzte.
    »Danior Terlath?« fragte der Meister.
    »Ja«, brachte Danior schließlich heraus. »Meine Mutter ließ Euch rufen. Wegen des Steins.«
    »Des Paarungssteins«, bestätigte der Edelsteinmeister. »Hast du ihn bei dir?« Seine Stimme war rauh, die Stimme eines Mannes aus den Steinhallen; und die Hand, die er ihm entgegenstreckte, war derb und voller Schwielen, die Nägel waren abgekaut. Aber seine Umgangsformen waren nicht die in den Steinhallen üblichen. Er grüßte nicht und bediente sich beim Sprechen keiner sorgfältig ausgewählten Umschreibungen. Verwirrt zog Danior den Beutel aus der 'rasche und fingerte ungeschickt an der gekräuselten Öffnung herum.
    »Das – das ist der Stein.« Er lag in seiner Hand, sein schwaches Leuchten machte seinen Mund trocken, die Wärme des Steins brannte gegen die Kälte seiner Haut. Er befeuchtete die Lippen und beobachtete die Reaktion des Meisters.
    Auf dem verwitterten Gesicht zeigte sich kein Ausdruck. Der Mann nahm Danior wortlos den Stein aus der Hand und ging in den von Stengellampen erleuchteten Flur, um ihn einer Untersuchung zu unterziehen.
    Danior folgte ihm voller Unbehagen. Der Edelsteinmeister hatte nichts von der Art gesagt, was ein Mann der Hallen

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