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Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied

Titel: Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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leg ihn beiseite. Folge ihm, wohin", er dich auch führt – oder kehre ins Tal zurück; in die Leere deines Zimmers. Welche Alternativen gab es? Er suchte, fand aber keine.
    Aber wie sollte er damit beginnen, dem Stein zu folgen, wohin er ihn auch führte? Er konnte seinem Glühen keinen Hinweis entnehmen. Der Stein bot keinen Hinweis, keine Richtung.
    Er saß dort, hielt den Stein in der Hand; seine Finger waren heiß und kalt, sein Atem gefror in der Luft, bis ein neuer Gedanke ihn wärmte. Vielleicht konnte seine Urgroßmutter etwas in diesem Stein lesen. Sie hatte den Thron des Terlath-Tals über ein Jahrhundert innegehabt, bevor sie sich in die Ebene zurückgezogen hatte. Was mochte sie nicht alles in dieser Zeitspanne gesehen haben. Selbst wenn sie nicht all seine Fragen zu beantworten vermochte, vielleicht konnte sie ihm einen Hinweis darauf geben, wohin er den Fuß setzen mußte, wenn er dem unsteten Licht des Steines folgte. Vielleicht konnte sie ihm sagen, wo der Weg begann.
    Er fröstelte unter dem tagenden Himmel und überprüfte seinen Entschluß. Dann schob er den Stein wieder in den Beutel zurück und den Beutel in das Bündel. Er stand auf und wanderte auf dem Weg weiter, bis er auf einen Linsenpfleger traf, der neben seiner Linse schlief. Er weckte den Mann und beauftragte ihn damit, eine Botschaft an seine Eltern zu schicken, daß er – Danior – zu Kadura in die Ebene gegangen sei. Dann atmete er tief im kalten Morgengrauen und schlug den Weg zur Ebene ein.
     

4 Keva
    Es war Nacht, und Keva hockte in der Nähe ihres erloschenen Feuers, die Finger um den Stein an ihrem Hals geschlossen. Sie hatte eine Auswahl an Lagerplätzen für die Nacht gehabt; einen Schlupfwinkel im Fels in den Rauhen Ländern, aus denen sie eben gekommen war, einen Schutz versprechenden Baum am Rande der Ebene, eine grasbedeckte Höhle neben fließendem Wasser. Sie hatte alle zugunsten dieses Platzes verworfen, denn hier war das Gelände flach und überschaubar, die Sicht war in alle Richtungen frei.
    Aber das Gefühl, beobachtet zu werden, rief noch immer ein Prickeln in ihrem Nacken hervor; sie schloß die Hand um den Stein an ihrem Hals. Sie hatte das Verlangen, unvermittelt den Kopf umzuwenden und dem gegenüberzutreten, was immer sie beobachtete.
    Doch jedesmal, wenn sie sich umdrehte, erblickten ihre Augen nichts als die Dunkelheit.
    Gerade die Weite der Ebene war es, die bewirkte, daß ihr unbehaglich zumute war. Sie war neben dem Warmstrom groß geworden, wo moosbewachsene Bäume einen schützenden Schirm vor den dahinter liegenden Rauhen Ländern bildeten. Selbst die Rauhen Länder dehnten sich nicht so flach und eintönig bis zum Himmel. Das Antlitz der Erde war dort aufgeworfen und uneben, durchbrochen von Felsen, Büschen und Bäumen.
    Hier gab es nichts, soweit das Auge reichte – nichts als Gras und vereinzelte Bäume, und der Himmel hing so dicht über ihr, daß sie glaubte, ihn erreichen zu können, wenn sie nur die Hand ausstreckte. Heute hatte sie oft an das Blaue Lied gedacht. Es brauchte nichts als Sonnenlicht und das Gefühl des glatten blauen Stoffes am Hals, damit das Lied in seiner ganzen Klarheit zu ihr zurückkehrte.
    Sie umklammerte den Stein an ihrem Hals. Auch andere Dinge waren deutlicher geworden, seit sie den Warmstrom verlassen hatte. Die Träume vom Feuer waren jetzt intensiver, als sie es je erlebt hatte, weil sich das Feuer in der Nähe befand – so nah, daß sie seine Hitze auf ihrem Gesicht fühlen konnte, so nah, daß sie manchmal seine Herkunft sah, eine große Gestalt, die vor einem brennenden Berghang stand. So nah, daß sie einen grollenden Donner zu hören schien, zu fühlen ...
    Keva schauderte und stand in einem plötzlichen Entschluß auf, in ihrem Nacken zog sich die Haut zusammen. Die Leere, die sie umgab, war so bedrohlich angewachsen, daß sogar ihre Gedanken eine unheilvolle Wendung genommen hatten. Hier konnte ihr alles mögliche zustoßen. Rasch sammelte sie ihre Habseligkeiten ein und schlang sich das Bündel über die Schultern. Sie zwang sich dazu, sich langsam zu bewegen, obwohl sie sich danach sehnte, loszulaufen. Sie folgte dem Weg, den sie gekommen war, zurück zu der grasbewachsenen Höhle, an der sie bereits vorher am Abend vorbeigekommen war.
    Wolken hüllten die Monde in weiße Spitzen, Schatten bewegten sich verstohlen im Gras. Als sie den Schutz der im Schatten liegenden Höhle erreicht hatte, zitterte Keva. Wasser sprudelte aus einem Quell im Erdboden

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