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Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied

Titel: Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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plötzlich auf das verletzte Bein legte.
    Es war gegen Mitte des Nachmittags, als sie vor sich Tiere grasen sah; eine lockere Ansammlung von erwachsenen Rotmähnen, Fohlen und Jährlingen. Als sie sich ihnen näherte, hoben sie die Köpfe und blickten ihr desinteressiert entgegen. Die Stute bewegte sich zwischen ihnen und schnaubte sanft zur Begrüßung. Als Keva stehenblieb, näherte sich ein Fohlen mit schlaksigem Gang und untersuchte ihre Kleidung. Keva berührte seinen Nacken, streichelte das silbergraue Fell; das Fohlen ruckte ungeduldig mit dem Kopf und rannte in kurzem Galopp davon.
    Wasser – hier, wo sich so viele Rotmähnen befanden, mußte es Wasser geben. Keva humpelte hinter der Stute her.
    Sie führte sie an einen schmalen Wasserlauf, der sich seinen Weg durch das Gras bahnte. Keva trank dankbar, bespritzte Hände und Gesicht und wusch sich vorsichtig das getrocknete Blut ab. Dann füllte sie die Wasserhaut und zog sich auf den trockenen Boden zurück, die Hosenbeine voller Schlamm. Die Stute beobachtete sie, während sie Gras rupfte.
    Keva blieb eine Weile im Gras sitzen; sie spürte Schmerz in sämtlichen Muskeln und Leere im Bauch. Probehalber riß sie ein Büschel Gras aus. Die Wurzeln waren lang und zäh.
    Es gab keine Anzeichen dafür, daß sie genießbar waren. Keva seufzte und setzte das Grasstück in den Erdboden zurück. Später vielleicht, wenn sie hungriger wäre, würde sie die nicht besonders wohlschmeckenden Wurzeln essen. Sie würde umherstreifen und nach anderen Pflanzen suchen. Im Moment war sie mehr müde als hungrig. Sie streckte sich für ein paar Minuten im sonnendurchwärmten Gras aus und schlief ein.
    Sie erwachte vom Atem der Stute auf dem Gesicht. Das Tier stand über ihr, den Kopf gesenkt, und blickte auf sie mit einer Bestimmtheit hinunter, die sie beunruhigte. Keva setzte sich auf, die erste Abendkühle im Gesicht. »Nein«, murmelte sie, mehr zu sich selbst als zur Stute. Es war sinnlos, jetzt aufzubrechen, jetzt, da die Nacht herankam, sinnlos, nach Nahrung zu suchen. Sie stand auf und streckte die steifen Muskeln, wickelte sich in ihre Bettdecke und legte sich wieder hin, rollte sich mit knurrendem Magen zusammen.
    Die Stute schnaubte, trabte fort und kehrte zurück. Ihr zotteliger Schwanz peitschte. Sie beugte den Nacken und blies heftig auf Kevas Schultern.
    Keva musterte verwirrt das unruhige Tier, als es sich abwandte und wieder näherte. Nahm es an, jemand gefunden zu haben, den es von jetzt an bevormunden konnte? Glaubte es, in ihr ein Fohlen gefunden zu haben, das verpflichtet war, ihm zu folgen, wohin immer es sie führte?
    Sie gab ein seltsames Fohlen ab, das kaum fähig wäre, den Anweisungen einer älteren Rotmähne zu folgen. Als die Stute zurückkam und sie ein drittes Mal mit geblähten Nüstern anblies, daß sein Atem laut in Kevas Ohr brauste, gab sie auf, rollte ihre Decke zusammen und folgte dem Tier.
    Noch immer war ihr Gang bedächtig und tastend. Ganz gleich, wohin sie die Stute zu führen beabsichtigte, der Zweck war nicht dringend. Keva folgte überrumpelt und widerstandslos; der Schmerz in ihren Muskeln ließ nach, als die Sterne am Himmel erschienen, als Allindra aufging.
    Als Allindra aufging, beschleunigte die Stute ihren Schritt; schließlich fiel sie in einen Trab, den Kopf gesenkt, die Füße stampften. Keva hinkte ihr hinterher, gefangen in dem unerklärlichen Gefühl, daß sie am Ziel waren. Die Ebene hatte sich seit dem Mondaufgang verändert. Das Gras war silbrig, die Schatten in der Ferne schienen voller stummer Versprechungen. Selbst der milchige Film auf den Augen der Stute war jetzt weniger unklar. Als das Tier in den Mond schaute, sah Keva dunkle Pupillen und dahinter einen Geist, weit vitaler als der Körper, in dem er wohnte.
    Geist? In einer Rotmähne, die ein zweibeiniges Fohlen adoptiert hatte?
    Nach einer Weile hörte Keva in der Ferne ein Wiehern. Die Stute hielt inne, hob den Kopf und stieß eine schrille Antwort aus. Dann trottete sie erneut vorwärts und schnaubte laut. Keva zögerte; die Härchen auf ihren Armen richteten sich auf. Die Stute drehte sich um und schlug mit dem Schwanz gegen ihre Flanke. Die Botschaft war klar.
    Komm.
    Keva folgte. Bald sah sie die schattenhaften Gestalten von einigen Dutzend Rotmähnen. Sie bewegten sich unruhig, schnaubten und wieherten, als sich die Stute zwischen ihnen bewegte, dann sammelten sie sich hinter ihr und folgten, genauso wie Keva folgte. Keva begriff, daß die Stute unter den

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