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Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied

Titel: Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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einem eigentümlichen, kalten Gefühl des Losgelöst-seins fragte sich Keva, ob Oki wohl in dieser Nacht zu Allindra aufblickte.
    Und ihr Vater – sah er Allindra? Vom Rücken seines Tieres aus? Von den Bergen? Oder von einem Ort aus, den sie sich nicht vorstellen konnte?
    Später schlief sie ein, und ihr Vater ritt durch ihre Träume; die Hufe seines Rosses schienen den Boden kaum zu berühren. Manchmal hob das Roß den Kopf, und ihres Vaters Gesicht verwandelte sich in das Antlitz Allindras, Silber und Schatten zugleich. Ein anderesmal strahlte das Tier helles Licht aus und wurde zur Sonne. Wenn das geschah, erschien eine Frau; die streckte die Arme nach dem Tier aus, und sein Licht entfloh und wurde das ihre. Die Frau brannte hell, aber nur für Momente. Dann wurde sie von einer brausenden, grollenden Dunkelheit eingehüllt. Augenblicke, bevor sie unterging, wirbelte etwas vor ihr fort, ein vergänglicher Reif aus Licht.
    Keva warf sich unruhig herum und bemühte sich, dem Traum zu entrinnen, und der Schmerz in ihrem Bein weckte sie. Sie lag da und starrte hinauf zu den Sternen, erschrocken, ohne zu zu wissen, worüber, die Fäuste gegen das Schlafbedürfnis geballt.
    Als sie dennoch wieder einschlief, wurde aus dem Schmerz Feuer, Feuer, das von einer Frau ausging, die hochgewachsen vor der Sonne stand. Schatten 'verbargen ihr Gesicht, und Keva war begierig, die Augen zu sehen, die in die Sonne blickten, ohne geblendet zu werden, die Lippen, die keine Blasen schlugen, das Fleisch, das nicht verbrannte.
    Später, viel später, erblickte sie das Gesicht der Frau und erwachte mit einem atemlosen Schrei; und augenblicklich verschwand, was sie gesehen hatte. Alles, was verblieb, war die Erinnerung an Feuer.
    Keva wachte ein weiteres Mal kurz nach Tagesanbruch auf; ihr Mund war verkrustet und trocken, die Muskeln waren steif. Sie stellte sich versuchsweise auf die Füße. Als sie einen schwankenden Schritt vorwärts tat, war der Schmerz in ihrem Bein eben noch erträglich. Sie verlagerte vorsichtig ihr Gewicht; sie war durstig und hungrig und erinnerte sich an die Herden, die sie in der Ferne hatte grasen sehen. Wo Herden waren, mußte auch Wasser sein. Und ganz bestimmt Nahrung. Par hatte gesagt, daß die Wächterinnen Stutenmilch tränken. Vielleicht könnte sie lernen, sie auch zu trinken.
    Hier konnte sie gewiß nicht bleiben. Unsicher humpelte sie über den holprigen Boden.
    Sie schwankte beim Gehen, ihr Gang wurde vom Schmerz diktiert. Sie legte die felsige Strecke am Fuß der Rauhen Länder zwischen grobem Gras und gelegentlichen Ansammlungen von Gewächsen zurück. Schließlich, gegen Mitte des Vormittags, als sie noch immer kein Wasser gefunden hatte, legte sie sich ins Gras, rollte sich zusammen und fiel in erschöpften Schlaf; ihr ganzer Körper schmerzte.
    Sie erwachte durch einen sanften Luftzug an der Wange. Sie schreckte auf, erstarrte, hielt einen Schrei zurück.
    Eine Rotmähne stand über ihr, schaute aus alterstrüben Augen auf sie hinab. Sie war älter als diejenigen, die sie beim Sommerauftrieb gesehen hatte; ihr graues Fell war fleckig, die kastanienbraune Mähne zerzaust. Schultern und Flanken, die muskulös hätten sein sollen, waren ohne Kraft. Das Tier – es war eine Stute – stampfte mit den schwieligen Füßen, stupste Keva an, dann drehte es sich um und trottete davon, um in der Nähe zu grasen.
    Keva setzte sich einen Moment auf und bekämpfte die pochende Nachwirkung der Panik. Rotmähnen stellten keine Gefahr dar. Diese hier schien nicht einmal besonders neue gierig auf sie zu sein. Und sie war alt.
    Sie war so alt, daß sie nicht von weither zu diesem Platz gewandert sein konnte, und das bedeutete, daß es in der Nähe Wasser geben mußte. Keva stand auf. Vielleicht gehörte das Tier nicht zu der Herde, die sie am vorigen Abend In der Ferne erblickt hatte. Vielleicht suchte es allein nach Futter oder gehörte zu einer kleineren Gruppe. Aber wenn sie ihm folgte, würde es sie bestimmt zum Wasser führen.
    Das Tier bewegte sich langsam voran. Keva hatte keine Mühe, sich seiner Gangart anzupassen. Es legte häufig eine Rast ein, um am Gras zu knabbern, manchmal warf es ihr einen ruhigen Blick aus milchigen Augen zu. Nach einer Weile schien es nicht mehr aufs Geratewohl zu gehen, sondern bewegte sich über die Ebene, als hätte es eine bestimmte Richtung im Sinn; gelegentlich brach es in schwerfälligen Trab aus. Keva humpelte hinterher und biß sich auf die Lippe, wenn sich ihr Gewicht

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