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Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied

Titel: Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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Rotmähnen eine Persönlichkeit darstellte. Vielleicht die Anführerin. Kein Wunder, daß sie vorausgesetzt hatte, daß Keva ihr folgte.
    Die Stute trabte jetzt flotter und führte Keva an eine Stelle, wo sich der Bach, der sich durch die ganze Ebene zog, zu einem breiten Teich ausdehnte. Das Gras an seinem Ufer war abgefressen und hatte je einen breiten Streifen nackter, gestampfter Erde an seinen Seiten hinterlassen. Die Stute näherte sich dem Teich, doch statt den Kopf zu senken und zu trinken, ging sie ins Wasser und spritzte hindurch.
    Auf der anderen Seite angekommen, schüttelte sie sich und schlug mit dem Schwanz gegen die Flanke.
    Die Aufforderung war klar.
Komm.
    Keva watete durch den Teich, sie kam sich albern vor. Wasserfluten ergossen sich in ihre Stiefel, und die Hosen klebten schwer an ihren Beinen. Als sie die andere Seite erreicht hatte, wartete die Stute, während Keva das Wasser aus den Hosen wrang und die Stiefel auszog, um das Wasser aus ihnen zu gießen.
    Die Rotmähne pflanzte ihre schwieligen Füße auf und stand neben dem Teich den Tieren gegenüber, die sich auf der anderen Seite versammelt hatten. Keva sah überrascht, wie mehr und mehr Tiere aus dem Dunkel traten und sich zu den anderen gesellten. Sie schnaubten einander sanft zu, drängten sich dicht aneinander, doch keines machte Anstalten, das Wasser zu durchqueren.
    Nach einer Weile senkte die Stute den Kopf und starrte auf die dunkle Teichoberfläche. Am gegenüberliegenden Ufer drängten sich die Rotmähnen noch dichter aneinander, dann wurden sie still und standen wie die Stute, mit gesenkten Köpfen, die Augen aufs Wasser gerichtet. Keva saß verwirrt da, mit nasser Hose, die ihre Beine abkühlte. Als die Kälte ihre Knochen erreicht hatte, wickelte sie sich mit klappernden Zähnen in ihre Decke.
    Die Versammlung hatte einen Zweck, aber sie konnte ihn nicht herausbekommen. Keines der Tiere bewegte sich jetzt, keines trank aus dem Teich. Sie bliesen ihren warmen Atem in die frische Nachtluft, flüsterten und warteten, während sie aufs Wasser starrten.
    Allindra setzte ihre langsame Reise über den Himmel fort, und noch immer standen die Tiere dort. Endlich berührte Allindras Spiegelbild die Teichränder, versilberte das Wasser, dann glitt sie ganz allmählich übers Wasser.
    Die Rotmähnen seufzten tief auf, und die Stute schnaubte einmal und ließ dann die Augenlider zufallen. Keva starrte auf das Spiegelbild der Dame im Nebel hinunter und hatte das schwindelerregende Gefühl, durch die Oberfläche des Wassers in eine andere Realität zu schauen. Sie konnte ihren Blick nicht abwenden. Sie konnte nur hinabstarren, tiefer und tiefer sinken, bis eine Brise über das Gras wehte und über die Wasseroberfläche strich. Die Realität kräuselte sich sanft und teilte sich.
    Die Realität enthüllte sich.
    Realität – aber nicht die Realität nasser Kleider und schmerzender Muskeln, nicht die Realität klappernder Zähne und eines leeren Bauches. Eine gänzlich andere Realität erhob sich vom versilberten Teich, als die Brise seine Oberfläche berührte. Betäubt griff Keva nach dem Stein an ihrem Hals. Zan, der zweite Mond, erschien am Rand des 'Teiches, kleiner als Allindra, mit hellerem und intensiverem Licht.
    So intensiv wie das Lied, das Keva einmal vernommen hatte, das Lied aus Sonnenschein und leichtem Wind. Kevas Finger schlossen sich um den blauen Stein, dann preßten sie den schmalen Stoffstreifen, der ihn hielt.
    Das Blaue Lied – sie hatte es vernommen, und es hatte in ihrem Gedächtnis seine Spuren hinterlassen. Aber sie hatte niemals geglaubt, daß sie es singen könnte. Jetzt spürte sie, während sie auf Allindras silbern-pockiges Gesicht hinunterstarrte, die Brise einer neuen Realität im Haar. Sie öffnete den Mund, und das Blaue Lied entströmte ihrer Kehle, süß, ohne Wort, stumm.
    Stumm.
Es war kein Lied für Lippen und Zungen, kein Lied der Stimmbänder – nicht, wie sie es sang. Es war ein Lied, das einem tieferen Ort entsprang, vielleicht dem Herzen oder der Seele. Keva wiegte sich langsam von einer Seite zur anderen, preßte Stoff und Stein und ließ das Lied aus sich heraus, ließ es seine Magie durch die Nacht winden.
    Hörten es die Rotmähnen? Die Stuten? Sie standen still. Einige blickten auf den Teich, und Allindra und Zan glitten über die Tieraugen und versilberten sie. Andere hatten die Lider zufallen lassen und wiegten sich, so wie Keva sich wiegte.
    Deshalb wußte Keva, daß sie sie hörten. Die

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